SWP-Anwalt Joachim Piezynski im Interview über „Low Performer“ und Arbeitgeber-Methoden im Kündigungsfall
Die Wirtschaftskrise ist überwunden, für 2014 stehen die Zeichen auf Vollbeschäftigung. Ist die Gefahr des Jobverlusts also vorüber? Nicht wirklich. Zwar sind in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs Massenentlassungen nicht an der Tagesordnung. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Druck auf Arbeitnehmer weiter steigt. Nicht umsonst sind solche Themen in den Talkshows nach wie vor präsent – wie zum Beispiel in der letzten Sendung „Menschen bei Maischberger“ am 12.4.2011 zum Thema „Deutsche Arbeitnehmer: Verwöhnt oder versklavt“. Wer nicht schnell mehr Leistung bringt, kann nicht auf die Geduld des Arbeitgebers setzen. Trauriger Endpunkt der Entwicklung sind die bekannten Fälle, in denen Mitarbeitern wegen vermeintlicher Unterschlagung von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro, wegen des Handyaufladens im Büro („unerlaubte Entziehung von Strom“) oder etwa Mitnahme von Gegenständen aus dem Abfall der Firma, fristlos gekündigt wurde.
Diesen Bagatell-Kündigungen hat das Bundesarbeitsgericht zum Glück in seinem Urteil vom 10.06.2010, Aktenzeichen 2 AZR 541/09, mit der so genannten Emmely-Entscheidung zumindest in gewissem Rahmen Einhalt geboten. Damit hat das BAG seine frühere Rechtsprechung, nach der fast jede noch so geringwertige Vermögensstraftat automatisch eine fristlose Kündigung rechtfertigte, aufgegeben. Solche Kündigungen unterliegen nun einer gewissen Verhältnismäßigkeitsabwägung. Ein Dilemma vieler Arbeitnehmer ist damit allerdings noch nicht vom Tisch: „Gewiefte“ Arbeitgeber gehen nämlich das Risiko, dass ihnen die Arbeitsgerichte fristlose Kündigungen wegen Bagatellen um die Ohren hauen, gar nicht erst ein. Sie wählen subtilere Methoden, um als „Low-Performer“ gebrandmarkte Mitarbeiter zu kündigen. Hierzu weiß Rechtsanwalt Joachim Piezynski, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus der Anwaltskanzlei SWP aus seiner beruflichen Praxis zu berichten.
Herr Piezynski, um welche Problembereiche geht es konkret, wenn Arbeitgeber „Hintertürchen“ nutzen wollen, um dem Vorwurf einer Bagatell-Kündigung zu entgehen?
Das ist ein bunter Strauß an Maßnahmen, die alle zum Ziel haben, dass der Arbeitnehmer „freiwillig“ geht. Laut einem Bericht des ARD-Magazins „Panorama“ vom 21.01.2010 gibt es mittlerweile Anwälte, die sogar Schulungsseminare darüber halten, wie Arbeitgeber Arbeitsverhältnisse mit vermeintlich unkündbaren Arbeitnehmern beenden können.
Können Sie hierzu einige Beispiele nennen?
Sicher. Aus meiner beruflichen Erfahrung kommen insbesondere folgende „Maßnahmen“ in Betracht: Etwa die Versetzung oder Übertragung von „unliebsamen“ Aufgaben, die außerhalb des so genannten arbeitgeberseitigen Direktionsrechts liegen. Denkbar ist auch die plötzliche Entziehung des Dienstfahrzeugs, der Home-Office-Berechtigung etc. Ein beliebter „Tipp“ ist auch das unvorangekündigte und häufige Einbestellen von Außendienstmitarbeitern in den Stammbetrieb, oder aber die Anordnung, minutiöse Tätigkeitsberichte anzufertigen.
Auch die Observation einzelner Mitarbeiter durch die Beauftragung einer Privatdetektei kommt vor. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt: Das kann bis in den persönlichen Bereich gehen, wenn etwa dem Arbeitnehmer gegenüber haltlose Vorwürfe gemacht werden, die seinen Stolz verletzen sollen – etwa, dass er unbeliebt sei.
Auch wird „gern“ inflationär wegen Bagatellverfehlungen abgemahnt:
DerArbeitnehmer war eine Minute zu spät, er war unfreundlich, er hat abgesprochene Erledigungsziele nicht erreicht. In solchen Seminaren wird auch zu ständigen Mitarbeitergesprächen geraten, in denen die Arbeitgeberseite durch ein „Dreigestirn“ (Personalsacharbeiter, Fachvorgesetzter, Arbeitgeberanwalt) vertreten wird. Das Ziel ist dann, dem Mitarbeiter systematisch Schlechtleistung vorzuwerfen – und am Ende soll er dann einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen.
Sind denn derartige „Sonderbehandlungen“ nicht verboten?
Natürlich, sie verstoßen gegen das so genannte Maßregelungsverbot nach § 612a BGB. Jedenfalls dann, wenn die Maßnahmen ausschließlich in Bezug auf den Einzelnen ausgesprochen werden. Da hier aber jeder Einzelfall gesondert zu betrachten ist, sollte man rechtzeitig einen Fachanwalt für Arbeitsrecht konsultieren. Denn obwohl solche Maßnahmen verboten sind, riskiert ein Arbeitnehmer erfahrungsgemäß eine Abmahnung oder sogar die Kündigung, wenn er sich widersetzt.
Arbeitgeber handeln gern getreu dem Motto: „Abmahnung-Abmahnung-Kündigung“. So einen Automatismus kennt unser Kündigungsrecht zwar nicht; das hindert aber niemanden daran, gern und häufig so zu handeln.
Muss also ein Arbeitnehmer alles „schlucken“, um keine Kündigung zu riskieren?
Nein! Jeder Arbeitnehmer kann und sollte sich frühzeitig juristisch beraten lassen, bevor er durch diese „Sonderbehandlungen“ psychische Schäden davonträgt. Gemeinsam mit seinem Anwalt kann er nach Möglichkeiten suchen, um gegen derartige Maßnahmen vorzugehen. Unsere Rechtsordnung bietet genug Möglichkeiten – man muss sie nur ausschöpfen. Entscheidend ist hier die Intensität des eingeleiteten Spießrutenlaufs. Wenn einzelne Maßnahmen oder mehrere in ihrer Gesamtschau gegen das Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB verstoßen, empfiehlt sich vielleicht eine Unterlassungsklage gegen den Arbeitgeber. Eine Rechtsschutzversicherung hilft in der Regel, denn bei derartig vertrags- und/oder rechtswidrigen Maßnahmen des Arbeitgebers kann es sonst sein, dass der Arbeitnehmer auf seinen Anwaltskosten sitzenbleibt.
Das Ganze klingt stark nach Mobbing. Warum kann man nicht eine Klage in dieser Richtung anstrengen?
Sicher, Mobbingklagen sind in der Rechtsprechung anerkannt, aber sie sind meist auf Schadenersatz ausgerichtet. Das heißt, in einem solchen Prozess muss als voraussetzbar gelten, dass der Arbeitnehmer bereits einen gesundheitlichen Schaden erlitten hat. Meiner Meinung nach sollte ein Mitarbeiter, der derartige Maßnahmen über sich ergehen lassen muss, es gar nicht soweit kommen lassen. Er sollte sich früher zur Wehr setzen, damit er nicht für einen derartig handelnden Arbeitgeber auch noch seine Gesundheit ruiniert.
Hinzu kommt, dass Mobbingklagen häufig am Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Handeln des Arbeitgebers und dem eingetretenen gesundheitlichen Schaden scheitern. Denn sofern die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitgeber zurückgeführt werden kann, scheitert der Nachweis.
Helfen denn nicht auch unternehmensinterne Ethikregeln?
Ja, gerade Großunternehmen haben solche Richtlinien. Mitarbeiter können dann auch bei einem Ethikbeauftragten derartige Handlungsweisen anzeigen. Aber die Prozesse sind oft langwierig und führen zu wenig konkreten Ergebnissen. Es empfiehlt sich aber in jedem Fall, flankierend zum juristischen Vorgehen unternehmensinterne Ethikbeauftragte oder den Betriebsrat einzuschalten.
Was ist zu tun, wenn einem Arbeitnehmer dann doch auf Grund eines Verstoßes gegen eine vermeintlich wirksame Arbeitgeber-Anordnung fristlos gekündigt wird?
Hier sollte der Arbeitnehmer sofort Kündigungsschutzklage erheben. Wirksam kann eine derartige Kündigung nur sein, wenn die Arbeitsanweisung, gegen die verstoßen sein worden soll, selbst wirksam war. Ist die Anordnung allerdings rechtswidrig, ist auch die Kündigung unwirksam. Arbeitnehmer können dann gegen die fristlose Kündigung erfolgreich vorgehen. Meine Erfahrung zeigt aber, dass eine Rückkehr in den Betrieb in aller Regel kaum möglich ist, wenn einmal eine fristlose Kündigung im Raum steht. Der Bruch im Arbeitsverhältnis ist meist nur schwer zu „kitten“. Im Fall „Emmely“ mag das funktioniert haben; das ist jedoch die Ausnahme.
Wenn Arbeitgeber mehr oder weniger selbst davon ausgehen müssen, dass so eine ausgesprochene Kündigung unwirksam ist, welchen Druck können sie damit dann überhaupt erzeugen?
Das liegt auf der Hand – spricht ein Arbeitgeber eine fristlose Kündigung aus, verliert der betroffene Arbeitnehmer von heute auf morgen seine Erwerbsgrundlage.
Ist er dann noch Alleinverdiener, stellt dies den Mitarbeiter häufig vor große wirtschaftliche Probleme. Denn mit Ausspruch einer fristlosen Kündigung geht in der Regel auch eine bis zu dreimonatige Sperrzeit beim Arbeitslosengeld einher. Im schlimmsten Fall steht der Mitarbeiter dann drei Monate ohne jedes Einkommen da. Wenn dann das Arbeitsgericht nach etwa zehn Monaten rechtskräftig über die Unwirksamkeit der Kündigung entscheidet, hat da auch niemand etwas von. Ich rate daher – wenn das angesichts des vom Arbeitgeber eingeschlagenen Zeitablaufs noch möglich ist – es soweit erst gar nicht kommen zu lassen.
Kann ein Arbeitnehmer derartige Horrorszenarien denn von vorneherein vermeiden?
Klar gibt es gewisse Verhaltensregeln, damit man gar nicht erst in so eine Lage kommt. Häufig provozieren Arbeitnehmer ihre Chefs auch durch leichtfertige Vertragsverstöße zu einem entsprechenden Handeln, etwa durch Uneinsichtigkeit oder Ungefälligkeit.
Klassiker sind hier auch fehlerhafte Spesenabrechnungen, unerlaubte Internetnutzung etc. Man sollte immer darauf achten, sich vertragskonform zu verhalten – besonders wenn man weiß, dass man unter Beobachtung steht.
Gibt es denn aus Ihrer Sicht auch Positives zu berichten?
Zum Glück ja! Denn – das muss der Wahrheit zuliebe ausdrücklich gesagt werden – die dargestellten Missstände sind Einzelfälle. Die überwiegende Anzahl der Arbeitgeber verhält sich loyal und fürsorglich gegenüber ihren Mitarbeitern. Denn sie wissen: nur ein motivierter Angestellter liefert optimale Arbeit ab.
Herr Piezynski, vielen Dank für das Interview.
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