„Die bloße Tatsache, dass man paranoid ist,bedeutet nicht, dass sie nicht hinter einem her sind.“
Aus der TV-Serie Akte X
Man muss nicht, wie Mulder und Scully in der paranoidesten Fernseh-Serie des vergangenen Jahrzehnts, direkt von Regierungsverschwörungen und außerirdischen Machenschaften ausgehen. Wir alle werden ohnehin beobachtet, auch ohne dass wir „zuviel wissen“. An vielen öffentlichen Orten wird Videoüberwachung sogar allgemein begrüßt, geschieht sie doch zur Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage. Im Betrieb jedoch gilt es, genau abzuwägen. Und das ist auch Sache des Betriebsrats.
Grundsätzlich ist eine Überwachung von Mitarbeitern am Arbeitsplatz zulässig. Jeder Arbeitgeber darf überwachen, ohne dass es den Betriebsrat etwas anginge. Auch die Einführung einer Videoüberwachung im Betrieb ist nicht ausgeschlossen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Sie bedarf aber der Zustimmung des Betriebsrats. Denn kommen technische Geräte zum Einsatz (Computer, Videokameras, Telefonanlagen, Zugangskontrollsysteme) sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats berührt. Auch, da dank dieser technischen Optionen die Kontrollmöglichkeiten sprunghaft erhöht sind.
Die hoch entwickelten technischen Möglichkeiten (siehe Info-Box „Dome-Kamera“) haben auch Gerichte vor Augen, wenn sie betonen, dass Regelungen der Betriebsparteien zur Videoüberwachung höherrangiges Recht achten müssen.
Was ist eine „Dome-Kamera“?
Diese schwarzen Halbkugeln, wie man sie aus öffentlichen Verkehrsmitteln und Supermärkten kennt, können in Sekundenschnelle zur geforderten Ansicht geschwenkt, geneigt und gezoomt werden. Manche Geräte operieren bereits bei 0,002 Lux gestochen scharf und haben einen 220-fachen Zoom.
Dome-Kameras können in Verbindung mit einem Bewegungsmelder sogar etwa von einem Parkplatz aus durch erleuchtete Fenster Mitarbeiter bei der Arbeit überwachen. Sie liefern zu jeder Tageszeit nahezu perfekte Bildqualität. Das erhöht die Überwachungsmöglichkeiten der Arbeitgeber in einer Weise, die es umso mehr erfordert, dass Betriebsräte beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen die Einführung einer Videoüberwachung nur im unbedingt erforderlichen Umfang zulassen.
Die Parteien haben nach § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Pflicht, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer im Betrieb zu schützen und zu fördern. Das gilt auch für das im Grundgesetz nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter. Es umfasst neben dem Recht am gesprochenen Wort das Recht am eigenen Bild. Jeder Mensch entscheidet im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen.
Das zulässige Maß einer Beschränkung oder eines Eingriffs richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch die den Betriebsparteien nach § 75 Abs. 2 BetrVG auferlegte Verpflichtung beschreibt. Vor diesem Hintergrund muss die Eingriffsintensität gegen ihre Gründe abgewogen werden. Sie darf die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschreiten.
Bei der Intensität ist die Frage entscheidend, wie viele Personen wie beeinträchtigt werden, ohne dass ein Verdacht gegen sie vorliegt. Wichtig ist auch, ob sie als Personen anonym bleiben, ob die Überwachung in einer Privatwohnung oder in Betriebs- oder Geschäftsräumen stattfindet, welche Umstände und Inhalte von Verhalten und Kommunikation erfasst werden, welche Nachteile den Betroffenen aus der Maßnahme drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet werden. Die Intensität der Beeinträchtigung hängt zudem maßgeblich von Dauer und Art der Überwachung ab.
Eine Betriebsvereinbarung schafft in der Regel den Interessenausgleich. Kommt es zu keiner Einigung, sind beide Betriebsparteien berechtigt, den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über eine Einigungsstelle zu erzwingen. Die Einigungsstelle ist weder ein Gericht noch eine Behörde. Sie ist ein von Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam gebildetes Organ der Betriebsverfassung, das kraft Gesetz Meinungsverschiedenheiten beilegen kann. Die Einigungsstelle ist somit privatrechtlich und innerbetrieblich, übt im Konfliktfall die Funktion der Betriebsparteien ersatzweise aus. Ihr Vorsitzender muss unparteiisch und fachlich geeignet sein. Oft übernimmt ein Arbeitsrichter das Amt. Je nach dem, mit welcher Betriebspartei der Vorsitzende stimmt, kann eine Videoüberwachung gegen den Willen der anderen Partei unterbleiben oder eingeführt werden. Ein solcher Spruch kann aber auch aufgehoben werden.
Fallbeispiel
Zum Beispiel kassierte das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 14.12.2004 die Entscheidung einer Einigungsstelle, die im März 2001 in einem Verteilerzentrum der Post ergangen war. Das BAG hat Arbeitgebern damit deutlich die Grenzen gezeigt, die sie bei der Einführung einer Videoüberwachung im Betrieb zu beachten haben.
In dem Briefverteilungszentrum wurden seit November 2001 etwa 2000 Beschäftigte auf einem 11.000 m² Areal in drei Schichten von 19 Kameras überwacht. Wann diese filmten und wann nicht, war für die Arbeitnehmer nicht ersichtlich. Der Grund: Jährlich wurden 300 Fälle von geöffneten und ihres Inhalts beraubten Postsendungen dokumentiert, mit einer höheren Dunkelziffer. Die Einigungsstelle drückte die Videoüberwachung gegen die Beisitzer des Betriebsrates durch. 40 Stunden die Woche durfte bei Verdachtsmomenten gefilmt werden, 20 Stunden zu rein präventiven Zwecken.
Der Spruch der Einigungsstelle vom 30.03.2001 sei unwirksam, stellte das BAG Ende 2004 fest, da er gegen § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verstoße. Er verletze die Postmitarbeiter ohne ausreichende Rechtfertigung in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Für die Dauer ihrer Arbeitszeit müssten alle Arbeitnehmer ständig damit rechnen, gefilmt zu werden. Zudem sei problematisch, dass die Vereinbarung Aufzeichnungen von wöchentlich 20 Stunden aus „präventiven Gründen” zulasse und Aufzeichnungen für die Dauer weiterer 40 Stunden pro Woche gestatte, „wenn Verdachtsmomente für Verluste, Inhaltsschmälerungen oder Beschädigung im Briefzentrum bestehen”.
Dass die präventiven Aufzeichnungen nur bei Anzeichen für Straftaten ausgewertet werden sollten, ändere nichts an diesem Anpassungsdruck. Auch werde der nicht gemildert, weil die Anlage „nur zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten“ da sei. Das BAG wies darauf hin, dass ja nicht nur solche, sondern überwiegend unverdächtige Personen gefilmt würden. Für diesen schweren Eingriff ins Persönlichkeitsrecht gebe es keine Rechtfertigung.
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