Kurz vor Beginn der Sommerferien hat die Bundesregierung ihre Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt und mehrere neue Gesetze zum Arbeitsrecht durch den Bundestag gebracht. Ziel der neuen Gesetze ist es, gesetzliche Mechanismen zu installieren, die zu gerechteren Löhnen führen. Dabei ist die in der Öffentlichkeit am meisten diskutierte Neuerung das neue Mindestlohngesetz. Aber auch in der Öffentlichkeit nicht so diskutierte Änderungen sind für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hochinteressant. Z. B. gibt es eine Änderung im Tarifvertragsgesetz, die die Lohnsituation von vielen Beschäftigten erheblich beeinflussen wird. Deshalb stellen wir die für die Praxis wichtigsten Neuerungen in diesem Beitrag aus Arbeitnehmersicht im Einzelnen vor.
1. Die rechtliche Ausgangslage:
Eigentlich war der Mechanismus, wie es zu gerechten Löhnen kommt, in Deutschland seit vielen Jahrzehnten gesetzlich klar geregelt. Die Verfassung sowie der Gesetzgeber haben diese Aufgabe weitgehend den Tarifvertragsparteien übertragen.
In Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz wird die Tarifautonomie garantiert. Danach ist es das feste Recht der Tarifvertragsparteien, die Höhe der Löhne zu regeln.
Wo das nicht ausreicht, konnten branchenspezifische Mindestlöhne durch eine Allgemeinverbindlicherklärung für diese Branche als allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn mindestens die Hälfte der Unternehmen in dieser Branche tarifgebunden waren. Dann galt der tarifvertragliche Mindestlohn auch für die tarifvertraglich nicht gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dieser Branche.
Für bestimmte besonders schutzbedürftige Branchen wurden zudem im Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) Regelungen geschaffen, um tarifvertragliche Mindestlöhne auch auf nicht tarifgebundene Unternehmen zu erstrecken (z. B. Abfallwirtschaft, Bauhauptgewerbe, Dachdeckerhandwerk usw.)
Ein gewisser Mindestschutz hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts ergibt sich schließlich aus dem Verbot sittenwidriger Löhne (§ 138 Abs. 1 BGB). An die Stelle eines wegen Sittenwidrigkeit nichtigen Lohns tritt ein Anspruch auf die übliche Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB. Als sittenwidrig werden Löhne jedenfalls dann betrachtet, wenn sie mindestens ein Drittel unterhalb eines, in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns liegen.
2. Die Probleme in der aktuellen Praxis
Während vor ca. 20 Jahren noch bei ca. 66% der Beschäftigten in Westdeutschland und 48 % in Ostdeutschland der Lohn durch einen Tarifvertrag geregelt war, ist diese Quote in der Zwischenzeit auf nur noch ca. 50 % der Beschäftigten in Westdeutschland und 33 % in Ostdeutschland gesunken. Im Durchschnitt erreichen die Tarifverträge damit mehr als die Hälfte der Beschäftigten nicht mehr.
Dies hängt wesentlich damit zusammen, dass immer mehr Unternehmen die Tarifbindung aufgeben und neu gegründete Unternehmen oftmals eine Tarifbindung von Anfang an verweigern.
Eigentlich ist das Regulativ für eine solche Haltung der Arbeitgeber die Erzwingung von Tarifverträgen durch Arbeitskämpfe. Auf Grund der sinkenden Bereitschaft der Beschäftigten, sich in Gewerkschaften zu organisieren und für gerechte Löhne zu streiken, funktioniert das System aber nicht mehr einwandfrei und führte dazu, dass inzwischen über die Hälfte der Betriebe keine tarifliche Lohnbindung haben. Dies hat dazu geführt, dass inzwischen knapp 6 Millionen von diesen Mitarbeitern weniger als 8,50 EUR brutto pro Stunde erhalten.
3. Die Lösung
a) Das Mindestlohngesetz (MiLoG)
Durch das MiLoG wird zum 01.01.2015 ein gesetzlicher Mindestlohn so flächendeckend eingeführt, dass er sich nach Schätzungen der Bundesregierung bei rund 3,7 Millionen Beschäftigten positiv auf ihr Einkommen auswirken wird.
Die Einhaltung des Gesetzes wird von den Zollbehörden kontrolliert werden. Verstöße können mit Geldbußen geahndet werden. Würde man diese Kontrollen und Geldbußen nicht einführen, würde das Ziel des Gesetzes, Mindestarbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer effektiv zu gewährleisten und durchzusetzen, nicht erreicht, weil gerade im Bereich der gering bezahlten Tätigkeiten Beschäftigte ihre neuen Ansprüche auf den Mindestlohn oftmals praktisch selbst nicht durchsetzen werden.
Nach § 1 MiLoG wird jeder Beschäftigter ab dem 01.01.2015 einen Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe brutto 8,50 Euro je Zeitstunde haben. Das MiLoG regelt dabei nicht, welche weiteren Entgeltleistungen auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob Arbeitgeber beim Mindestlohn auch Zahlungen, wie das Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld berücksichtigen dürfen. Dies wird in der Rechtsprechung in der nächsten Zeit zu klären sein. Allerdings ergibt unseres Erachtens die Auslegung von § 1 Abs. 2 MiLoG, das nur der Lohn pro Zeitstunde der Normalarbeit, also der Grundlohn und nicht weitere Zahlungen, berücksichtigt werden darf.
Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden. Die Mindestlohnkommission kann erstmals mit Wirkung zum 01.01.2017 eine Änderung beschließen.
Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind nach § 3 MiLoG insoweit zukünftig unwirksam. Der Beschäftigte kann auf den entstandenen Anspruch auf den Mindestlohn zukünftig nur durch einen gerichtlichen Vergleich verzichten.
Interessant ist die neue Haftung des Auftraggebers nach § 13 MiLoG, der auf § 14 des Arbeitnehmerentsendegesetzes verweist. Durch diese Vorschrift haftet zukünftig jeder Arbeitgeber, der selbst oder über Subunternehmer Arbeitnehmer (auch Leiharbeitnehmer) beschäftigt, die weniger als den neuen Mindestlohn erhalten, gegenüber dem Arbeitnehmer direkt auf Zahlung des Mindestlohnes. Allerdings erfasst diese Haftung nur das Nettoentgelt.
Aus § 20 MiLoG ergibt sich die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Mindestlohns und umgekehrt der einklagbare Anspruch des Arbeitnehmers.
Ausnahmen
In § 22 MiLoG sind schließlich die viel diskutierten Ausnahmen enthalten.
aa. Dabei handelt es insbesondere um Praktikanten
- die ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten, oder
- die ein Praktikum begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat.
Erstmals hat der Gesetzgeber bei der Gelegenheit definiert, wer überhaupt ein Praktikant ist. Praktikant ist nach § 22 Abs. 1 MiLoG unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt. Damit sind sogenannte Scheinpraktikanten, die tatsächlich länger als drei Monate wie ein normaler Arbeitnehmer eingesetzt werden, nicht von der Ausnahme erfasst.
bb. Daneben gehen noch bis zum 31.12.2017 schlechtere verbindliche Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien dem Mindestlohn vor,
cc. Zeitungszusteller und Zusteller von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt haben ab dem 01.01.2015 einen Anspruch auf 75 Prozent und ab dem 01.01.2016 auf 85 Prozent des Mindestlohns nach § 1 Absatz 2 Satz 1. Vom 01.01.2017 gilt dann der normale Mindestlohn.
dd. Es sollen auch Personen im Sinne von § 2 Absatz 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes, also unter 18 Jahren, ohne abgeschlossene Berufsausbildung ausgenommen sein. Diese Regelung ist in der Literatur heftig umstritten. Es wird vertreten, dass es sich hier um eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters handelt, was zur Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen das Europarecht führen würde.
ee. Schließlich soll der Mindestlohn für Arbeitsverhältnisse von langzeitarbeitslosen Arbeitnehmern in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht gelten.
b) § 5 Tarifvertragsgesetz
Bis zum 15.08.2014 war es nach § 5 Abs. 1 TVG nur dann möglich, einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären, wenn
die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vom Hundert der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigten und
die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erschien.
Insbesondere die Schwelle von 50 % wurde aus den o. g. Gründen immer seltener überschritten. Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich der Anteil der allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge an allen geltenden Tarifverträgen von 5,4 % auf 1,5 % im Jahr 2008 verringert. Dies zeigt, dass die Hürden für eine Allgemeinverbindlicherklärung zwischenzeitlich zu hoch geworden sind.
Seit dem 15.08.2014 reicht es nun aus, das die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Die Allgemeinverbindlicherklärung erscheint dabei nach dem Gesetz in der Regel im öffentlichen Interesse geboten, wenn
1.der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat oder
2.die Absicherung der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung eine Allgemeinverbindlicherklärung verlangt.
Damit wird zukünftig insbesondere der Fall erfasst, dass in einer Branche auf Grund der Tarifflucht der Arbeitgeber und mangelnden Arbeitskampfähigkeit einer Gewerkschaft in der Mehrzahl der Betriebe kein Tarifvertrag mehr gilt. Es bleibt abzuwarten, ob diese neue Regelung dazu führen wird, tarifvertragliche Regelungen wieder einer größeren Anzahl an Arbeitnehmern zugänglich zu machen.
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