„Dies ist das Wesen der Diskriminierung: Meinungsbildung über andere Menschen, die nicht auf individuellen Leistungen beruht, sondern vielmehr auf Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit vermeintlichen Eigenschaften.“
Aus: Philadelphia mit Tom Hanks
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? Warum wir auch heute noch ein Antidiskriminierungsgesetz brauchen. Und was das Betriebsräte angeht.
Auch wenn heute vielfach über die allgegenwärtige „Political Correctness“ gestöhnt wird, ist es manchmal doch gut, sich daran zu erinnern, wie es in Zeiten aussah, bevor man sich Gedanken darüber machen musste, ob man einen Menschen als Person oder nach Stereotypen einordnet. Ein relativ modernes Beispiel ist Tom Hanks Rolle in Philadelphia als Schwuler in den frühen 90er Jahren, der sich nach seiner HIV-Infektion damit konfrontiert sieht, wie sein Leben um ihn herum zerfällt, weil alle Welt sich durch ihn und seine doppelte Andersartigkeit bedroht sieht.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), umgangssprachlich Antidiskriminierungsgesetz genannt, wurde daher vom Bund geschaffen, um Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse“, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Altersoder der sexuellen Identität zu verhindern und zu beseitigen.
Um das zu erreichen erhalten die durch das Gesetz geschützten Personen Rechtsansprüche gegen Arbeitgeber und private Personen, die ihnen gegenüber gegen gesetzliche Diskriminierungsverbote verstoßen.
Es unterscheidet folgende Formen der Ungleichbehandlung: Unmittelbare Benachteiligung, d. h. weniger günstige Behandlung einer Person gegenüber einer anderen in einer vergleichbaren Situation; mittelbare Benachteiligung, also Benachteiligung durch scheinbar neutrale Vorschriften, Maßnahmen, Kriterien oder Verfahren, die sich faktisch diskriminierend auswirken und Belästigung, worunter das Gesetz die Verletzung der Würde der Person, insbesondere durch Schaffung eines von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichneten Umfelds versteht. Außerdem sind im Gesetz die Tatbestände beschrieben, unter denen man sexuelle Belästigung versteht oder aber Anweisungen zu einer der genannten Verhaltensweisen.
Über die Frage, was mit der in § 3 Absatz 2 gegebenen Definition der mittelbaren Diskriminierung genau gemeint ist, gibt die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des BAG Aufschluss. Es sollen Verfahren als Diskriminierung geahndet werden, die bestimmte Gruppen von Personen benachteiligen und dabei zwar eine ausdrückliche Benennung der verbotenen Diskriminierungsmerkmale vermeiden, aber durch die Wahl scheinbar neutraler Kriterien darauf angelegt sind, gerade solche Personen zu benachteiligen, die eines oder mehrere der vom AGG verbotenen Merkmale aufweisen.
Eine mittelbare Diskriminierung ist ausnahmsweise zulässig, wenn diese statistische „besondere Betroffenheit“ einer vom AGG geschützten Gruppe nur Nebenprodukt eines erlaubten Ziels ist. Wer also das erlaubte Ziel hat, nur die Betriebstreue unbefristet Beschäftigter mit Weihnachtsgeld zu belohnen, darf befristet Beschäftigte von der Zahlung ausnehmen, auch wenn die Maßnahme überwiegend Frauen trifft. Allerdings ist das dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen, hier haben die Gerichte Spielraum: Im Arbeitsverhältnis sind laut AGG Vereinbarungen, die gegen Diskriminierungsverbote verstoßen, unwirksam (§ 7 Absatz 2). Der Arbeitgeber kann aber einwenden, dass die Ungleichbehandlung im Einzelfall gerechtfertigt ist (§§ 5, 8–10).
Eine unterschiedliche Behandlung, etwa wegen des Geschlechts, ist nur zulässig, wenn es wegen der Art der Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unverzichtbare Jobvoraussetzung ist, etwa bei einer Balletttänzerin (vgl. § 8 Absatz 1). Für diesen Einwand trägt der Arbeitgeber im Prozess die Darlegungs- und Beweislast (§ 22). Er wird also den Prozess verlieren, wenn er nicht in der Lage ist darzulegen, dass er unbedingt eine Tänzerin und keinen Tänzer brauchte.
Unterschiedliche Behandlung wegen Religion oder Weltanschauung ist ebenfalls ausnahmsweise zulässig (§ 9). So ist es keine verbotene Diskriminierung, wenn ein Moslem nicht Leiter eines katholischen Kindergartens wird. Das entspricht der bestehenden Rechtslage bei so genannten „Tendenzbetrieben“. In Privatbetrieben hingegen ist es dem Unternehmer nicht gestattet, bei der Auswahl von Bewerbern aufgrund eigener religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen vorzugehen. Altersbedingte Ungleichbehandlungen können gerechtfertigt sein, wenn sie objektiv angemessen sind und ein legitimes Ziel verfolgen, etwa Mindest- oder Höchstalter für eine Einstellung oder ein Mindestalter für Ansprüchen aus betrieblichen Alterssicherungssystemen (§ 10).
Der Arbeitgeber muss gegen Beschäftigte, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen ergreifen. Etwa Abmahnung, Versetzung oder gar Kündigung (§ 12 Absatz 3). Zudem ist er bei einer Benachteiligung durch Dritte verpflichtet, Schutzmaßnahmen für seine Mitarbeiter zu ergreifen (§ 12 Absatz 4). Bei Belästigungen kann darüber hinaus ein Leistungsverweigerungsrecht bestehen: Ergreift der Arbeitgeber dann keine oder ungeeignete Maßnahmen, kann der Arbeitnehmer die Leistung verweigern, wenn das seinem Selbstschutz dient (§ 14). Der Gehaltsanspruch bleibt in diesem Fall bestehen. Mitarbeiter haben zudem einen Schadensersatzanspruch (§ 15 Absatz 1) auf Ersatz von Vermögensschäden.
Der Mitarbeiter hat auch einen vom Verschulden des Arbeitgebers unabhängigen Entschädigungsanspruch (§ 15 Absatz 2). Er greift bei Nichtvermögensschäden und sieht eine angemessene monetäre Entschädigung für erlittene Ungleichbehandlung vor. Die Höhe richtet sich nach der Art und Schwere der Interessen-Schädigung, dem Anlass und den Beweggründen des Arbeitgebers, der Dauer, dem Grad des Verschuldens sowie danach, ob es ein Wiederholungsfall vorliegt. Das BAG sprach in vergleichbaren Fällen eine Entschädigung von mindestens einem Monatsgehalt zu. Das AGG kennt im Fall einer diskriminierenden Nichteinstellung gar den Höchstbetrag von drei Monatsgehältern.
Für die Geltendmachung des Schadensersatz- und des Entschädigungsanspruchs gilt eine Frist von zwei Monaten (§ 15 Absatz 4). Zuständig sind dieArbeitsgerichte (§ 61b ArbGG). Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot (§ 7) besteht kein Anspruch auf Einstellung, Berufsausbildung oder beruflichen Aufstieg (§ 15 Absatz 6).
Ein Passus, der viele Arbeitgeber in der Republik in helle Aufregung versetzte, war dieser: Besteht ein Betriebsrat bzw. ist eine Gewerkschaft im Betrieb präsent, haben sie bei groben Verstößen des Arbeitgebers ein eigenes Klagerecht, und zwar auch ohne Zustimmung des Betroffenen (§ 17 Absatz 2). Zu einer Klageflut, vor der Gegner des Gesetzes gewarnt hatten, kam es dennoch nicht. Man kann also davon ausgehen, dass Betriebsräte mit dem Gesetz vernünftig umgehen, und nicht inflationär AGG-Klagen heraufbeschwören.
Fallbeispiel 1
Um noch kurz die Bandbreite möglicher Klagen zu illustrieren seien hier exemplarisch zwei Fälle genannt: Ein erster großer Prozess wurde von einer Versicherungsangestellten angestrengt, die, unterstützt von Anwälten der Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht, von ihrem Arbeitgeber R+V Versicherung einen Schadensersatz von 500.000 Euro wegen eindeutiger Geschlechtsdiskriminierung und möglicher ethnischer Diskriminierung forderte.
Fallbeispiel 2
In einem weiteren Fall verurteilte das LAG Hamm 2008 ein Frachtflugunternehmen zu Schadensersatz in Höhe von 6.450 Euro. Das Unternehmen hatte eine Stelle als „Flugkapitän“ ausgeschrieben und die Bewerbung einer Pilotin nicht berücksichtigt. Das Unternehmen konnte die Diskriminierung nicht widerlegen.
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