Aktuelle Rechtsprechung Arbeitnehmer
Die gesetzliche Ausgangslage
Nach § 9 TzBfG hat ein Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach einer Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, bei der Besetzung eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes bei gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen, es sei denn, dass dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen.
Dass der Gesetzgeber hierdurch Anfang 2001 keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit geschaffen hat, hat sich in der Praxis sehr schnell herausgestellt. Die vom Gesetzgeber gesetzten Hürden sind für einen teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter mit Wunsch auf Verlängerung seiner Arbeitszeit hoch:
Es muss ein freier Arbeitsplatz mit der gewünschten Wochenstundenzahl vorhanden sein. Der Arbeitnehmer muss die für diesen Arbeitsplatz erforderliche Qualifikation aufweisen. Zudem muss der Arbeitsplatz in seiner Wertigkeit dem bisherigen Teilzeitarbeitsplatz entsprechen. Des Weiteren darf es keinen besser geeigneten anderen Bewerber geben, wobei der Arbeitgeber frei über das Profil des neuen Arbeitsplatzes entscheiden kann. Schließlich dürfen auch keine dringenden betrieblichen Gründe der Besetzung des Arbeitsplatzes mit dem teilzeitbeschäftigten Bewerber entgegenstehen.
In aller Regel wird der Arbeitnehmer diese Hürden nicht überwinden.
Die Politik spricht von einer Teilzeitfalle, weil § 8 TzBfG zwar einen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit enthält und so –in der Praxis vor allem für Mütter- die Möglichkeit geschaffen hat, Familie und Beruf „unter einen Hut“ zu bringen; der oben beschriebene § 9 TzBfG verhindert jedoch in aller Regel die Rückkehr zur Vollzeit, wenn der Arbeitgeber nicht freiwillig hierzu bereit ist.
Die Rechtsprechung des BAG
Diese „Teilzeitfalle“ hat das Bundesarbeitsgericht durch seine Rechtsprechung, zuletzt in seiner Entscheidung vom 18.07.2017 noch erheblich verschärft. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Arbeitgeberin beschäftigte eine Krankenschwester seit 1989 in Teilzeit. Im Jahr 2010 vereinbarten die Parteien, die regelmäßige Arbeitszeit im Zeitraum vom 01.06.2010 bis zum 31.12.2010 auf 75 % der Regelarbeitszeit einer Vollzeitkraft zu erhöhen. Von Januar bis September 2011 war die Klägerin infolge eines Arbeitsunfalls arbeitsunfähig krank. Mit Bescheid vom 21.04.2011 wurde bei der Klägerin eine Behinderung mit einem Grad von 30 festgestellt. Seit Oktober 2011 wurde sie im Umfang von 50 % der Regelarbeitszeit einer Vollzeitkraft beschäftigt.
Mit Schreiben vom 09.02.2015 bekundete die Arbeitnehmerin gegenüber der Arbeitgeberin unter Hinweis auf § 9 TzBfG ihr Interesse an einer Vollzeitstelle. Tatsächlich schuf die Arbeitgeberin kurz darauf fünf freie geeignete Arbeitsplätze. Zum 01.04.2015 stellte die Beklagte fünf examinierte Krankenschwestern und Krankenpfleger in Vollzeit ein, ohne die Arbeitnehmerin vorab über diese freie Stellen informiert zu haben. Anschließend lehnte sie den Antrag auf Erhöhung der Wochenstundenzahl ab, weil sie die Stellen inzwischen anderweitig besetzt hatte.
Das BAG hat den daraufhin von der Krankenschwester geltend gemachten Anspruch auf Beschäftigung in Vollzeit auf einer dieser fünf Stellen mit folgender Begründung abgelehnt:
Das Arbeitsvertragsrecht kennt grundsätzlich keinen Abschlusszwang, d. h. keinen Anspruch, das seitens eines Vertragspartners unterbreitete Änderungsangebot anzunehmen. Eine gesetzliche Ausnahme von diesem Grundsatz findet sich u. a. in § 9 TzBfG. Diese Vorschrift begründet unter den dort genannten Voraussetzungen einen einklagbaren Rechtsanspruch des in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmers auf Verlängerung seiner Arbeitszeit durch Vertragsänderung.
Vorliegend fehle es an einem „freien Arbeitsplatz“ iSd. § 9 TzBfG. Zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht, gab es im Betrieb der Arbeitgeberin keinen freien Arbeitsplatz. Die vor dem 01.04.2015 im Krankenhaus vorhandenen Arbeitsplätze seien seit der Besetzung mit fünf Arbeitnehmern nicht mehr „frei“ iSd. § 9 TzBfG . Besetzt der Arbeitgeber eine freie Stelle endgültig mit einem anderen Arbeitnehmer, gehe der Anspruch des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers unter, da der Arbeitgeberin die Erfüllung der aus § 9 TzBfG folgenden Verpflichtung dann rechtlich unmöglich sei.
Die Arbeitgeberin handele auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich der Arbeitnehmerin gegenüber darauf beruft, es fehle an einem freien Arbeitsplatz. Die Arbeitgeberin habe die Rechtsposition der Klägerin nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben zuwider vereitelt.
Dies sei so, weil die Arbeitnehmerin auch in diesem Falle ihr bisheriges Teilzeitarbeitsverhältnisses behalte. Zudem habe die Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Schadensersatz. Aus diesen Gründen sei der Arbeitgeber berechtigt, sich auf die bereits erfolgte Besetzung der Stelle auch dann zu berufen, wenn er diese in Kenntnis des Änderungsverlangens des Arbeitnehmers vorgenommen hat.
Die Politik
Diese rechtliche Ausgangslage ist höchst unbefriedigend. Sie kann ohne Weiteres durch eine Neufassung von § 9 TzBfG verbessert werden. Die bisherige Arbeitsministerin Frau Andrea Nahles hat daher im November 2016 den im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vereinbarten Anspruch für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer auf Verlängerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit in einem Gesetzesentwurf formuliert. Das Kanzleramt hat jedoch so lange Änderungen an diesen Gesetzesentwurf verlangt, bis es im Mai diesen Jahres mitgeteilt hat, den Entwurf im Kabinett vor den Neuwahlen aus zeitlichen Gründen nicht mehr behandeln und verabschieden zu können.
Die CDU hat bis zuletzt streitig gestellt, ab welcher Betriebsgröße teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ein Recht erhalten sollen, ihre wöchentliche Arbeitszeit zu verlängern. Nach Auffassung der CDU sollte der Anspruch nur Mitarbeitern aus Betrieben mit mindestens 200 Mitarbeitern zustehen, während die Arbeitsministerin den Anspruch den teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter zubilligen wollte, die in Betrieben mit mindestens 15 Mitarbeitern arbeiten.
Da derzeit nicht davon ausgegangen werden kann, dass die SPD an der neuen Regierung beteiligt sein wird, werden die betroffenen teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter bis auf weiteres mit der oben dargestellten unbefriedigenden Rechtslage leben müssen.
Unser Tip
Wer seine Arbeitszeit von Vollzeit auf Teilzeit reduzieren und dabei die Möglichkeit auf Rückkehr zur Vollzeit haben möchte, ist gut beraten, wenn er die Reduzierung entweder befristet, oder sich die Rückkehrmöglichkeit vom Arbeitgeber zusichern lässt.
Schreibe einen Kommentar