Es ist nicht alles ein Geheimnis, was die Geschäftsführung geheim halten möchte
Der Arbeitgeber hat konkrete Pläne über eine Massenentlassung in seinem Betrieb und unterrichtet den Betriebsrat hierüber, bevor er mit ihm die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan beginnt. Dabei bezeichnet er seine Abbaupläne gegenüber dem Betriebsrat als „streng vertraulich“ und als Geschäftsgeheimnis im Sinne von § 79 BetrVG. Eine Betriebsversammlung, auf der er die Belegschaft über die geplante Massenentlassung unterrichtet lehnt er ab und verbietet dem Betriebsrat unter dem Hinweis auf eine angeblich bestehende Verschwiegenheitsverpflichtung, die Belegschaft über die Pläne zu informieren.
Der Betriebsrat der sich an diese Vorgabe des Arbeitgebers hält, gerät schnell in eine Zwangslage. Streitet er gegenüber nachfragenden Mitarbeitern seine Kenntnis über Abbaupläne ab, sagt er bewusst die Unwahrheit und wird im Nachhinein unter großen Rechtfertigungszwang gegenüber der Belegschaft geraten. Unterrichtet er die Mitarbeiter wahrheitsgemäß über seinen Kenntnisstand, gerät er in die Gefahr, dass der Arbeitgeber dies als strafbare Verletzung von Geheimnissen im Sinne von § 120 Abs. 1 BetrVG ansieht und strafrechtlich sowie arbeitsrechtlich verfolgt.
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat gerade mit Beschluss vom 20.05.2015, Az. 3 TaBV 35/14, über eine solche Konstellation zu entscheiden gehabt und dabei folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Ein dem Betriebsrat mitgeteilter geplanter interessenausgleichspflichtiger Personalabbau als solcher und dessen Umfang kann nicht per se zu einem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 79 BetrVG deklariert werden.
2. Etwas anderes gilt nur in Bezug auf einzelne bestimmte Tatsachen und nur dann, wenn der Arbeitgeber an deren Geheimhaltung ein konkretes sachliches und objektiv berechtigtes wirtschaftliches Interesse hat.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Arbeitgeberin ist ein führendes Unternehmen der Pharmaindustrie mit mehr als 1000 Mitarbeitern. Bei dem Antragsteller handelt es sich um den dort gebildeten 15-köpfigen Betriebsrat.
Hat der Arbeitgeber kein sachliches und objektiv berechtigtes wirtschaftliches Interesse, kann er auch nicht geheim erklären was er will
Am 29.08.2014 unterrichtete die Arbeitgeberin den Wirtschaftsausschuss und den Betriebsrat in einer gemeinsamen Sitzung über eine geplante Betriebsänderung in Form eines Personalabbaus im Bereich Diabetes-Außendienst von 285 Stellen (Stand 29.08.2014) auf null Stellen per 01.11.2014. Als Zieltermin für den Abschluss aller erforderlichen Vorbereitungen und die Umsetzung wurde „spätestens 01.11.2014“ angegeben. Die Arbeitgeberin unterbreitete zugleich konkrete Terminvorschläge für Verhandlungen zwischen den Beteiligten und teilte als “nächste Schritte“ die Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan mit.
Die Arbeitgeberin erklärte in diesem Zusammenhang die dem Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss „übergebenen Unterlagen und mitgeteilten Informationen zu den noch nicht abgeschlossenen Vorüberlegungen zur Restrukturierung des Unternehmens mit möglichem Personalabbau als streng vertrauliche Geschäftsgeheimnisse“ und erklärte sie ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig nach § 79 BetrVG. Sämtliche im Rahmen der Unterrichtung vom 29.08.2014 geteilten Informationen seien Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse im Sinne des Gesetzes und unterlägen der Geheimhaltung. Die Arbeitgeberin werde jedes Betriebsratsmitglied für Verstöße hiergegen persönlich straf- und haftungsrechtlich voll verantwortlich machen. Der Betriebsrat hat daraufhin das Arbeitsgericht angerufen und die Feststellung beantragt, dass es sich bei den Abbauplänen nicht um Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse handelt und der Betriebsrat berechtigt ist, hierüber die Belegschaft zu unterrichten.
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat diesen Anträgen stattgegeben und dies wie folgt begründet:
Gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 BetrVG sind die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats verpflichtet, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Betriebsrat bekannt geworden und vom Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind, nicht zu offenbaren und nicht zu verwerten.
Diese sind Tatsachen, die im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehen, nicht offenkundig, sondern nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind und nach dem bekundeten Willen des Betriebsinhabers geheim gehalten werden sollen, wenn dieser an deren Geheimhaltung ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse hat.
Der Arbeitgeber muss ein sachliches und objektiv berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung, also zur Anerkennung bestimmter Tatsachen als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis haben. Besteht kein objektives Geheimhaltungsinteresse, so kann eine Angelegenheit nicht willkürlich – etwa durch ihre Bezeichnung als vertrauliche Mitteilung – zum Geschäftsgeheimnis gemacht werden.
Bei der dem Betriebsrat am 29.08.2014 mit der Aufforderung zur Aufnahme von Interessenausgleichsverhandlungen mitgeteilten Maßnahme „geplanter Personalabbau im Außendienst BU Diabetes von 285 auf Null“ handelt es sich um kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis. Es bestand schon zu diesem Zeitpunkt kein sachlich begründetes und objektiv berechtigtes Geheimhaltungsinteresse der Arbeitgeberin.
Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin fallen Informationen über einen geplanten betriebsändernden Personalabbau nicht generell bis zum Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen unter die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 79 BetrVG, auch wenn insoweit eine ausdrückliche Geheimhaltungserklärung der Arbeitgeberseite abgegeben wurde.
Umsetzungen personeller Vorgänge wie Entlassungen oder Versetzungen können nicht pauschal zum Betriebsgeheimnis erklärt werden
Der gesamte Gegenstand einer rechtzeitigen Unterrichtung im Sinne des § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG über eine nach §§ 111, 112 BetrVG mitbestimmungspflichtige Maßnahme kann gegenüber dem Betriebsrat regelmäßig nicht pauschal zu einem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis deklariert werden. Das gilt auch, wenn aus einer solchen Maßnahme später in der Umsetzung personelle Vorgänge wie Entlassungen und / oder Versetzungen entstehen. Der Vorgang an sich genießt keinen Geheimschutz.
Ein Arbeitgeber hat kein sachlich begründetes, objektiv berechtigtes Geheimhaltungsinteresse daran, dass ein Betriebsrat generell erst kommuniziert, wenn Entscheidungen „konkret ausverhandelt sind“. Zu den Aufgaben des Betriebsrats gehört es, im Rahmen seiner Zuständigkeit die Belegschaft umfassend und grundlegend zu informieren.
Ein Betriebsrat muss daher in der Regel ab Beginn der Unterrichtung über konkret geplante Betriebsänderungen mit seinen Wählern und den von ihm vertretenen Arbeitnehmern kommunizieren können, erst Recht wenn sie betroffen sind.
Etwas anderes kann sich nur ergeben, wenn für die Arbeitgeberin ein konkretes sachlich begründetes, objektiv berechtigtes Geheimhaltungsinteresse tatsächlich besteht. Das ist hier nicht der Fall.
Vorliegend führt die Arbeitgeberin als Geheimhaltungsinteresse an, sie stehe mit anderen Unternehmen in Bezug auf die Position am Markt und die dafür geeigneten Bearbeitungswege im Wettbewerb. Die Kenntnis konkurrierender Unternehmen von der Planung und Umfang einer solchen Maßnahme noch vor der Realisierung bedeute für sie einen Wettbewerbsnachteil und stelle die Erfolgsaussichten der Maßnahme insgesamt in Frage. Dieses Anliegen der Arbeitgeberin stellt nur ein allgemeines, dem normalen Wettbewerb entspringendes Interesse dar. Ein solches globales Interesse hat jeder Arbeitgeber. Mit dieser globalen Argumentation kann jede mitbestimmungspflichtige Information zu einem Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 79 BetrVG erklärt werden.
Das gilt auch für das weitere vorgebrachte Geheimhaltungsinteresse. Die Arbeitgeberin führt an, der Einfluss einer vorzeitigen Information der Belegschaft, insbesondere wenn die Maßnahme und deren Umsetzung noch nicht verhandelt sind und sich noch verändern könne, stelle eine massive Beeinträchtigung der Betriebsfähigkeit dar, weil potentiell betroffene Arbeitnehmer in Kenntnis solcher Maßnahmen möglicherweise anders arbeiten als bei unbeeinträchtigtem Betrieb. Auch das ist kein sachlich begründetes, objektiv berechtigtes Geheimhaltungsinteresse im Sinne des § 79 BetrVG. Geplante Betriebsänderungen und geplanter Personalabbau im Sinne der §§ 111 ff BetrVG lösen immer Unruhe und Reaktionen der Belegschaft aus. Das liegt in der Natur der Sache, da die Existenzgrundlage der Arbeitnehmer oftmals in Gefahr gerät und auch die Motivation sinkt.