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Die wirtschaft­­liche Angemessen­­heit von Sozial­plänen bei Entlassungen

Wenn für einen Betriebsrat Sozialplanverhandlungen wegen geplanter Entlassungen anstehen, stellt sich für ihn am Anfang die Frage: „Wie viel sollen wir an Abfindungen fordern? Wie viel wäre zu viel?“ Dann kommen häufig Stimmen, die auf Rekord-Sozialpläne hinweisen, von denen man in der Presse gelesen hat, z. B. von bekannten Konzernen aus der Banken- oder Versicherungsbranche oder von Automobilkonzernen.

Zurück in der Realität beim eigenen Arbeitgeber wird einem recht schnell klar, dass der schlichte Verweis auf hohe Sozialpläne bei anderen Unternehmen den eigenen Arbeitgeber nicht überzeugen wird, ähnlichen Konditionen zuzustimmen. Also macht es großen Sinn, sich zunächst bewusst zu machen, welche rechtlichen Vorgaben es gibt und wie man am besten herausfindet, in welcher Höhe eine Sozialpanforderung wirtschaftlich angemessen ist.

Solche rechtlichen Vorgaben finden sich in § 112 Abs. 5 BetrVG für die Bemessung eines Sozialplans durch eine Einigungsstelle.

„(5) Die Einigungsstelle hat bei ihrer Entscheidung nach Absatz 4 sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten. Dabei hat die Einigungsstelle sich im Rahmen billigen Ermessens insbesondere von folgenden Grundsätzen leiten zu lassen: (…)

3. Sie hat bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darauf zu achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden.“

Können sich die Betriebsparteien auf den Abschluss eines Sozialplans nicht innerbetrieblich einigen bzw. hält eine Betriebspartei die innerbetrieblichen Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans für gescheitert, kann jede Betriebspartei die Einigungsstelle anrufen. Die Voraussetzungen für die Anrufung der Einigungsstelle sind dabei nur sehr gering. Es kann somit sehr schnell zu einem Scheitern der Verhandlungen über einen Sozialplan kommen, insbesondere dann, wenn die Angebote der Betriebsparteien zu den finanziellen Rahmenbedingungen eines Sozialplans sehr weit auseinander liegen. Kommt es zu einem Verfahren vor der Einigungsstelle und können sich die Betriebsparteien auch dort nicht auf den Abschluss eines Sozialplans einigen, muss die Einigungsstelle einen Sozialplan per Spruch bestimmen.

Unter Berücksichtigung dessen empfehlen wir Betriebsräten, schon zu Beginn der Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans im Blick zu behalten, welche Grundsätze eine Einigungsstelle nach § 112 Abs. 5 BetrVG bei der Bemessung des Gesamtbetrages an Sozialplanleistungen nach der Rechtsprechung zu beachten hat.

Über die hierzu ergangenen Gerichtsentscheidungen, von denen wir nachfolgend ein paar Entscheidungen auszugsweise darstellen, sollte sich der Betriebsrat einen Überblick verschaffen, um einerseits seine rechtlichen Möglichkeiten in den Verhandlungen ausschöpfen und andererseits seine rechtlichen Grenzen besser einschätzen zu können.

Allgemeine Grundsätze

Nach dieser Grundsatzentscheidung des BAG vom 06.05.2003 (1 ABR 11/02) ist die Bemessung der Sozialplanleistungen nach § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG unter Abwägung der sozialen Belange der betroffenen Mitarbeitenden und der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für das Unternehmen vorzunehmen:

„In § 112 Abs. 5 BetrVG ist nicht ausdrücklich definiert, unter welchen Voraussetzungen ein Sozialplan wirtschaftlich vertretbar ist. Die der Vorschrift zugrunde liegende Wertung kommt indessen in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG zum Ausdruck. Dort wird mit der Gefährdung des Fortbestands des Unternehmens und der verbleibenden Arbeitsplätze eine Grenze für die zulässige Belastung durch das Gesamtvolumen des Sozialplans gezogen. (…) Da Nr. 3 in diesem Rahmen die einzige ausschließlich auf die Interessen des Unternehmens gerichtete Regelung enthält, ist der in ihr enthaltenen Grenzziehung zu entnehmen, dass das Gesetz die Vertretbarkeit auch einschneidender Belastungen des Unternehmens durch den Sozialplan bis an den Rand der Bestandsgefährdung für möglich ansieht. Wie schwer diese Belastungen tatsächlich sein dürfen, richtet sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalls. Maßgeblich ist dabei der Anteil der betroffenen Arbeitnehmer an der Gesamtbelegschaft und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des betreffenden Unternehmens.

Auf dieser Grundlage ist bei der Festlegung des Volumens des Sozialplans der Zweck von § 112 BetrVG zu beachten. Der Sozialplan soll die Interessen des Arbeitgebers an der Verwirklichung für sinnvoll erachteter unternehmerischer Maßnahmen einerseits und diejenigen der betroffenen Arbeitnehmer an der Milderung oder Kompensation der hierdurch entstehenden Nachteile andererseits zum Ausgleich bringen. Danach sind umso größere Belastungen für das Unternehmen vertretbar, je härter die Betriebsänderung die Arbeitnehmer trifft. Der Verlust des Arbeitsplatzes ist regelmäßig als der für den Arbeitnehmer am schwersten wiegende Nachteil anzusehen.

Eine relative Belastung bis zu der in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG benannten Grenze wird deshalb am ehesten bei einer Betriebsänderung vertretbar sein, die zur Entlassung eines großen Teils der Belegschaft führt und ein wirtschaftlich wenig leistungsfähiges Unternehmen betrifft. Der Umstand, dass sich ein Unternehmen bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, kann es nämlich nach der Wertung des BetrVG nicht von der Notwendigkeit entbinden, weitere Belastungen durch einen Sozialplan auf sich zu nehmen. In Übereinstimmung mit dieser Wertung sind Betriebsänderungen sogar in der Insolvenz sozialplanpflichtig, § 123 InsO. Dementsprechend wird das Volumen eines Sozialplans, der eine Betriebsänderung in einem wirtschaftlich leistungsfähigen Unternehmen betrifft, regelmäßig weit diesseits der in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG gezogenen Grenze liegen müssen.”

In einer weiteren Entscheidung des BAG vom 14.02.2023 (1 ABR 28/21) hat das Gericht folgendes ausgeführt:

„Nach § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG hat die Einigungsstelle bei ihrer Entscheidung über einen Sozialplan sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das oder die Unternehmen zu achten. Im Rahmen billigen Ermessens muss sie unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls Leistungen zum Ausgleich oder zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile vorsehen, dabei die Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt und die Förderungsmöglichkeiten berücksichtigen sowie bei der Bemessung des Gesamtbetrags der Sozialplanleistungen darauf achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach der Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Der Ausgleichs- und Milderungsbedarf bemisst sich ausschließlich nach den den Arbeitnehmern voraussichtlich entstehenden Nachteilen und nicht nach der Wirtschaftskraft des Unternehmens. Der wirtschaftlichen Vertretbarkeit des Sozialplans für den Arbeitgeber kommt lediglich eine Korrekturfunktion zu.“

Obergrenze und Untergrenze eines Sozialplans

Im Zusammenhang mit den höchstzulässigen Ober- und Untergrenzen eines Sozialplans hat das LAG Baden-Württemberg in einer Entscheidung vom 02.11.2022 (4 TaBV 7/21) wie folgt ausgeführt:

“Gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dient der Sozialplan dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Aus dieser Funktion des Sozialplans ergeben sich Folgen für die Ober- und die Untergrenze der in ihm vorgesehenen Leistungen. Weil der Sozialplan einerseits in keinem Fall mehr als einen Ausgleich der mit der Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile für die Arbeitnehmer bewirken soll, stellt der für den vollständigen Ausgleich dieser Nachteile benötigte Leistungsumfang den höchstmöglichen Sozialplanbedarf dar. Dieser ist damit zugleich die Obergrenze für die Bemessung der Sozialplanleistungen durch die Einigungsstelle nach § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG. Die sozialen Belange der Arbeitnehmer rechtfertigen in keinem Fall höhere Leistungen als sie ein vollständiger Ausgleich aller wirtschaftlichen Nachteile verlangt.

Weil der Sozialplan andererseits jedenfalls eine Milderung der wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer bewirken soll, muss er – unter dem Vorbehalt seiner wirtschaftlichen Vertretbarkeit – zumindest so dotiert sein, dass seine Leistungen als eine solche “Milderung” angesehen werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verlust des Arbeitsplatzes regelmäßig als der für die Arbeitnehmer am schwersten wiegende Nachteil angesehen wird. Bei der Bemessung der den Arbeitnehmern entstehenden Nachteilen darf die Einigungsstelle pauschale und typische Annahmen zugrunde legen. Insbesondere dürfen die Nachteile nach Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung und ähnlichem pauschaliert und prognostiziert werden.“

Wirtschaft­liche Leistungs­fähigkeit des Unternehmens

Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens sind nach einer Entscheidung des LAG Hamm vom 23.08.2019 (13 TaBV 44/18) insbesondere folgende Aspekte von wesentlicher Bedeutung:

„Bei der Prüfung, wie sehr der Sozialplan das Unternehmen belastet und ob er möglicherweise dessen Fortbestand gefährdet, sind sowohl das Verhältnis von Aktiva und Passiva als auch die Liquiditätslage zu berücksichtigen. Führt die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, zur bilanziellen Überschuldung oder einer nicht mehr vertretbaren Schmälerung des Eigenkapitals, ist die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit regelmäßig überschritten.“

Zu einem konzernangehörigem Unternehmen hat das BAG am 14.02.2023 entschieden:

“Die wirtschaftliche Vertretbarkeit iSd. § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG richtet sich grundsätzlich auch dann nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des sozialplanpflichtigen Arbeitgebers, wenn das Unternehmen einem Konzern angehört.

Im Ergebnis kommt es also bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für die Angemessenheit eines Sozialplans in der Regel allein auf Ihren Arbeitgeber an und nicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des ganzen Konzerns.

Einspar­volumen

Weiter spielt es im Rahmen der für die wirtschaftliche Vertretbarkeit anzustellenden Interessenabwägung eine Rolle, ob und welche Einsparungen für das Unternehmen mit der Betriebsänderung verbunden sind, deren Nachteile für die Arbeitnehmer der Sozialplan kompensieren soll. So hat das Bundesarbeitsgericht Aufwendungen für einen Sozialplan jedenfalls in Höhe des Einspareffekts eines Jahres für vertretbar gehalten (BAG 27.10.1987 – 1 ABR 9/86-). Eine absolute Höchstgrenze ist damit nicht festgelegt. Vielmehr kann die Einigungsstelle bei Betriebsänderungen, die auf langfristige Wirkungen angelegt sind, auch einen auf einen längeren Zeitraum bezogenen Aufzehreffekt in Kauf nehmen, ohne dass aus diesem Grunde ihr Ermessensspielraum überschritten wäre (so BAG vom 06.05.2003, siehe oben).

Fazit SWP

Erfolgreiche Sozialplan­verhandlungen setzen voraus, dass Betriebsräte ihre Ziele in Kenntnis ihrer rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen klar definieren und die richtige Strategie für die anstehenden Verhandlungen mit dem Arbeitgeber entwickeln, um ihre Zielvorstellungen so weit wie möglich erreichen zu können.

In den Sozialplan­verhandlungen sollten die finanziellen Forderungen des Betriebsrates mit der Leistungsfähigkeit Ihres Arbeitgebers (ggf. auch mit der von anderen Gesellschaften zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel für den Sozialplan) sowie mit den durch die Umsetzung der geplanten Betriebsänderung geplanten Einsparungen an Personal- und Sachkosten begründet, ohne dass die in den vorgenannten Entscheidungen gezogenen Grenzen überschritten werden.

Wir können mit der Erfahrung von mehr als 600 Sozialplan­verhandlungen, in denen wir Betriebsräte bundesweit beraten haben, bestätigen, dass eine konsequente Umsetzung dieser Strategien zu in aller Regel überdurch­schnittlich guten Ergebnissen geführt haben.