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Umfang der Mitbestimmung beim Arbeits- und Gesund­heitsschutz

Betriebsräte haben über das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG die rechtliche Möglichkeit, beim betrieblichen Gesundheitsschutz die Arbeitsbedingungen in ihren Betrieben wesentlich mit zu gestalten und dafür zu sorgen, dass Gesundheitsgefährdungen ihrer Belegschaften verhindert werden. Allerdings unterliegt das Mitbestimmungsrecht einigen wichtigen Einschränkungen, die es für Betriebsräte zu beachten gilt. Vor diesem Hintergrund verdient die Entscheidung des BAG vom 07.12.2021 (Az: 1 ABR 25/20) zum Umfang der Mitbestimmung von Betriebsräten beim Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie deren Grenzen besondere Aufmerksamkeit.

Zum Sachverhalt

Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt Krankenhäuser, u. a. eine Klinik, in dem der beteiligte Betriebsrat gebildet ist. Im Jahr 2009 erstellte die Arbeitgeberin eine „Erhebung der psychischen Belastungssituation für die Ärzte der Abteilung Pädiatrie“. Diese beruhte auf einer Auswertung von Fragebögen und Interviews mit den Ärzten. Die Erhebung wies für die Arbeitsbedingung „passende mengenmäßige Arbeit“ einen Mittelwert von 1,5 aus, was – da der Wert unter 2,5 („stark negativ“) lag – als sog. Stresspotential gewertet wurde.

Am 13./14. Januar 2010 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung „zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes und der Anwendung von Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 ArbSchG einschließlich der Erfassung psychischer Belastungen an den Arbeitsplätzen in der A Klinik“ (BV Arbeitsschutz). Die BV sah einen paritätischen Steuerungsausschuss vor, dessen Aufgabe es war, mögliche Gesundheitsgefährdungen zu ermitteln und zu bewerten. Im Streitfall sollte jede Betriebspartei berechtigt sein, die Einigungsstelle anzurufen.

Im Juli 2010 trat eine von den Beteiligten gebildete Einigungsstelle zusammen. Diese beschloss im August 2010 die Hinzuziehung eines Sachverständigen (Prof. Dr. O), der u. a. die Frage beantworten sollte, ob aus der Erhebung des Arbeitgebers Rückschlüsse auf eine Gefährdung der Gesundheit oder zumindest Anhaltspunkte hierfür gezogen werden könnten. In seiner Stellungnahme führte dieser u. a. aus, der verwendete Fragebogen entspreche den Anforderungen vertiefender Screening-Verfahren; bei den „negativen“ und „stark negativen“ Merkmalsausprägungen sei von einer Gesundheitsgefährdung der Arbeitnehmer auszugehen.

Nachdem die Vertreter des Betriebsrats im Steuerungsausschuss erfolglos eine Neuberechnung und ggf. Nachbesetzung von Ärzte Stellen in der Allgemeinpädiatrie verlangt hatten, beschloss der Steuerungsausschuss, die Einigungsstelle anzurufen. Ende 2014 entschied die Einigungsstelle, eine arbeitswissenschaftliche Feinanalyse durch Dr. H durchführen zu lassen. Im Jahr 2016 beschloss die Einigungsstelle eine weitere gutachterliche Überprüfung der Pädiatrie. Am 3. Juli 2018 fasste die Einigungsstelle nach etwa 30 Sitzungen folgenden „Teilspruch“:

Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, in der Allgemeinpädiatrie eine Relation zwischen Betten und Vollzeitarztstellen mit dem Wert 3,07 zu betreiben. Jedoch müssen immer mindestens 6 VK im Bereich der Ärzte vorgehalten werden.

Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, der Spruch sei unwirksam. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG gewähre kein Mitbestimmungsrecht bei der Personalbesetzung. Auch fehle es an konkret festgestellten Gefährdungen.

Gründe

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Teilspruch der Einigungsstelle vom 3. Juli 2018 ist unwirksam. Der angefochtene Spruch ist mangels eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 3 Abs. 1 ArbSchG unwirksam.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisieren. Es setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Unerheblich ist, ob die Rahmenvorschriften dem Gesundheitsschutz mittelbar oder unmittelbar dienen.

Sowohl § 5 als auch § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbSchG stellen zwar ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften in diesem Sinne dar. Jedoch kann ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG erst eingreifen, wenn eine konkrete Gefährdung nach Art und Umfang entweder feststeht oder im Rahmen einer – vom Arbeitgeber auf der Grundlage einer von den Betriebsparteien oder der Einigungsstelle zuvor getroffenen Regelung über das Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen durchgeführten – Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG festgestellt wurde. Dies gilt auch, wenn es um die Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung durch psychische Belastungen bei der Arbeit nach § 5 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG geht.

Nach Systematik und Konzeption des Arbeitsschutzgesetzes ist die Gefährdungsbeurteilung das maßgebende Instrument, um arbeitsbedingte Gefährdungen zu ermitteln. Welche Schutzmaßnahmen geeignet und angemessen sind, lässt sich erst bestimmen, wenn das von der Arbeit für die Beschäftigten ausgehende Gefährdungspotential im Rahmen der nach § 5 Abs. 1 ArbSchG durchzuführenden Beurteilung eruiert wurde. Die vom Arbeitgeber durchzuführende Beurteilung der Arbeitsbedingungen iSv. § 5 ArbSchG umfasst die Überprüfung, ob und ggf. welche Gefährdungen mit einer Tätigkeit einhergehen. Die mit der Arbeit des Beschäftigten verbundenen möglichen Gefährdungen müssen anhand der jeweiligen Gefahrenquellen ermittelt und im Hinblick auf ihre Schwere (Art und Umfang eines möglichen Schadens) und das Risiko ihrer Realisierung (Eintrittswahrscheinlichkeit) bewertet werden. Notwendige Bestandteile der Gefährdungsbeurteilung sind zudem die Prüfung, ob Schutzmaßnahmen geboten sind, sowie die Bewertung der Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs. Das im Rahmen von § 5 ArbSchG von den Betriebsparteien oder – im Fall ihrer Nichteinigung – einer Einigungsstelle auszugestaltende Verfahren zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung erfasst jedoch weder die Beantwortung der Frage, welche konkreten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer angesichts einer festgestellten Gefährdung ergriffen werden können, noch die auf konkrete Schutzmaßnahmen bezogene Kontrolle ihrer Wirksamkeit.

Besteht zwischen den Betriebsparteien Streit darüber, ob die Arbeitnehmer durch arbeitsbedingte psychische Belastungen gefährdet sind, müssen sie zunächst die Vorgaben für die nach § 5 Abs. 1 ArbSchG vom Arbeitgeber durchzuführende Beurteilung der Arbeitsbedingungen festlegen. Die nach der gesetzlichen Konzeption mitbestimmte Ausgestaltung der für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung wesentlichen Grundlagen soll verhindern, dass später Streit über das angewandte Verfahren und die Methoden entsteht. Das dem Betriebsrat bei der Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung zustehende Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG umfasst dabei zunächst die Klärung, inwieweit die Arbeitsbedingungen mehrerer Beschäftigter gleichartig sind und deshalb die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreicht. Zudem müssen die Betriebsparteien regeln, mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer solchen Gefährdung – also ihre Schwere und das Risiko ihrer Realisierung -, die grundsätzliche Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen und die Dringlichkeit eines möglichen Handlungsbedarfs festgestellt werden sollen. Da die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG in regelmäßigen Abständen anlassunabhängig zu wiederholen ist, haben die Betriebsparteien außerdem abstrakte Vorgaben zu treffen, in welchen zeitlichen Abständen die Gefährdungsbeurteilung erneut durchzuführen ist. Der dabei festzulegende Rhythmus hängt von den jeweiligen betrieblichen Umständen ab. Schließlich müssen die Betriebsparteien vereinbaren, auf welche Art und Weise die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden sollen. Können die Betriebsparteien über die danach festzulegenden Vorgaben für eine Gefährdungsbeurteilung kein Einvernehmen erzielen, hat die Einigungsstelle zu entscheiden.

Ergibt die nach dem mitbestimmt ausgestalteten Verfahren durchgeführte Beurteilung der Arbeitsbedingungen, dass Schutzmaßnahmen erforderlich sind, hat der Arbeitgeber diese nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG – möglichst zeitnah – zu treffen. Kann der Gefährdung mittels unterschiedlicher Schutzmaßnahmen begegnet werden, besteht dabei im Rahmen dieser Norm ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Entscheidung, welche der möglichen Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Der Arbeitgeber hat zudem nach § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Bei der Ausgestaltung dieser Wirksamkeitskontrolle hat der Betriebsrat ebenfalls nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen zeitliche und ggf. methodische Vorgaben für deren Durchführung festlegen. Kommt keine Einigung der Betriebsparteien über die mitbestimmungspflichtig auszugestaltenden Angelegenheiten zustande, entscheidet auch insoweit die Einigungsstelle.

Demgegenüber können Grund und Ausmaß von Gefährdungen der Arbeitnehmer durch Arbeit nicht durch die Einigungsstelle geklärt werden. Diese ist weder die nach § 13 Abs. 1 ArbSchG verantwortliche Person für die Erfüllung der sich u. a. aus § 5 ArbSchG ergebenden Pflichten des Arbeitgebers noch können Arbeitsschutzpflichten iSd. § 13 Abs. 2 ArbSchG an sie delegiert werden.

Daran gemessen waren die Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG vorliegend nicht gegeben. Wegen des Streits der Beteiligten über das Vorhandensein psychischer Gefährdungen fehlt es an einer zunächst erforderlichen Gefährdungsbeurteilung iSv. § 5 Abs. 1 ArbSchG, die auf der Grundlage einer von den Betriebsparteien oder – im Fall ihrer Nichteinigung – einer Einigungsstelle zuvor getroffenen Regelung über das Verfahren zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen durchgeführt wurde.

Fazit

Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG lässt sich nach den in der Entscheidung des BAG festgelegten Grundsätzen besser eingrenzen. Das erleichtert Ihre Arbeit bei der Feststellung, ob und in welchem Umfang Betriebsräte beim Arbeits- und Gesundheitsschutz mitzubestimmen haben. In Kurzform bedeutet dies für die Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG folgendes:

Der Schwerpunkt der Mitbestimmung von Betriebsräten bei Maßnahmen nach dem ArbSchG liegt zunächst bei der Gefährdungsbeurteilung und deren Ausgestaltung. Ergibt die nach dem mitbestimmt ausgestalteten Verfahren durchgeführte Beurteilung der Arbeitsbedingungen, dass Schutzmaßnahmen erforderlich sind, hat der Arbeitgeber diese nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG – möglichst zeitnah – zu treffen. Kann der Gefährdung mittels unterschiedlicher Schutzmaßnahmen begegnet werden, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Entscheidung, welche der möglichen Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Bei der Ausgestaltung dieser Wirksamkeitskontrolle hat der Betriebsrat ebenfalls nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen zeitliche und ggf. methodische Vorgaben für deren Durchführung festlegen.

Benötigen Sie Unterstützung bei rechtlichen Fragen zum betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie bei Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zu diesem Thema, können Sie sich gerne an uns wenden.