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Das AÜG-Reförmchen

„Keine Fragen, keine Antworten, das ist das Gesetz unserer Branche!“

So einfach, wie sich das Jean Reno als Vincent in dem Kinofilm Ronin gemacht hat, wollen wir es uns mit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) nicht machen. Vielmehr wollen wir die wichtigsten Fragen zu der AÜG-Reform beantworten und vor allem klären, ob und ggf. in welchem Umfang sich die Reform auf die Leiharbeitnehmer und die Betriebsräte auswirken wird.

Die neuen Regeln haben am 21.10.2016 den Bundestag und am 25.11.2016 auch den Bundesrat passiert. Sie werden zum 01.04.2017 in Kraft treten. Zur Erinnerung: Bereits in ihrem Koalitionsvertrag vom 17.12.2013 hat die Große Koalition miteinander vereinbart, dass sie in der Leiharbeit eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten regeln wollen und die Gleichstellung der Leiharbeitnehmer mit dem Stammarbeitnehmern hinsichtlich des Arbeitsentgelts nach spätestens neun Monaten erfolgen muss.

Nach langem Hin und Her ist es nun der Arbeitsministerin Andrea Nahles doch noch nach über drei Jahren gelungen, diese zentralen Forderungen der SPD in der großen Koalition durchzusetzen. Doch werden die Änderungen in der Praxis auch zu nachhaltigen Verbesserungen führen?

1. Die neue Überlassungs­höchstdauer

Bislang enthält § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nur den allgemeinen Hinweis, dass Leiharbeit „vorübergehend“ erfolgt. Wie lange das ist, steht nicht fest und ist im Einzelfall zu prüfen. Jedenfalls kann auch eine mehrjährige Tätigkeit nach der aktuellen Rechtsprechung auch noch „vorübergehend“ sein. Ab April 2017 dürfen Leiharbeitnehmer höchstens noch 18 Monate beim Entleiher eingesetzt werden. Aber: Durch einen Tarifvertrag oder in einer durch einen Tarifvertrag erlaubten Betriebsvereinbarung kann auch eine längere Überlassungshöchstdauer vereinbart werden. Damit bleibt nun abzuwarten, ob die Tarifvertragsparteien in ihren Tarifverträgen zur Zeitarbeit die Öffnungsklausel nutzen und den Zeitraum von 18 Monaten verlängern. Nur für Unternehmen ohne Betriebsrat und ohne Tarifbindung bleibt es bei höchstens 18 Monaten Überlassungshöchstdauer.

Mehrfach aufeinanderfolgende Einsätze eines Leiharbeitnehmers sind bei der Bestimmung der individuellen Überlassungsdauer nur zusammen zu rechnen, wenn zwischen den einzelnen Einsätzen beim gleichen Entleiher nicht mehr als drei Monate liegen. Da die Vorschrift zudem personen-, und nicht arbeitsplatzbezogen ausgestaltet ist, lässt sich für einen Entleiher die Überlassungshöchstdauer umgehen, indem er auf einem Arbeitsplatz vor Erreichen der 18 Monate den Leiharbeitnehmer vollständig gegen einen anderen Leiharbeitnehmer auswechselt oder indem er den Leiharbeitnehmer für mehr als drei Monate nicht einsetzt. Danach beginnt dann für diesen Leiharbeitnehmer der Zeitraum von 18 Monate von vorne.

Unabhängig hiervon geben wir zu Bedenken, dass nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit aus Dezember 2015 zur Arbeitnehmerüberlassung 83,4% aller Leiharbeitnehmer in Deutschland ohnehin höchstens 18 Monate eingesetzt werden. Somit beeinflusst die neue Überlassungshöchstdauer tatsächlich nur in 16,6% der gesamten Leiharbeitsverhältnisse deren Höchstdauer! Diese Quote verringert sich zudem noch um die Fälle, in denen durch Tarifvertrag die o. g. Öffnungsklausel für eine Verlängerung der Überlassungshöchstdauer genutzt wird oder die Entleiher die oben beschriebenen Umgehungsmöglichkeiten nutzen.

2. Endlich Equal Pay?

Auch bisher gibt es in § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG bereits den Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer gleich zu vergüten sind wie vergleichbare Stammarbeitnehmer. Dieser Grundsatz hat sich nur nicht praktisch ausgewirkt, weil von ihm nach § 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG durch Tarifvertrag nach unten abgewichen werden darf. Durch die für die Zeitarbeit abgeschlossenen Flächentarifverträge ist dies so umfassend erfolgt, dass die Entgelte der Leiharbeitnehmer tatsächlich fast ohne Ausnahme weit unterhalb der tarifvertraglichen Entgelte der Stammmitarbeiter liegen. Daran ändern auch die in den Tarifverträgen zur Zeitarbeit enthaltenen Zuschläge nicht viel.

Beispiel: Ein Mitarbeiter in der Metallindustrie in NRW verdient in der EG 1 derzeit nach dem ERA 15,07 EUR brutto, sein Zeitarbeitskollege bei gleicher Tätigkeit nach dem Tarifvertrag BZA/IGZ zu Beginn 9,00 EUR brutto und über mehrere Zeitstufen nach neun Monaten 13,50 EUR brutto. Über diesen Zeitraum betragen die Lohnunterschiede im Durchschnitt ca. 25%.

Also kann bisher tatsächlich nicht die Rede davon sein, dass der Gesetzgeber den Grundsatz des Equal Pay eingeführt hat.

Ab dem 01.04.2017 müssen Leiharbeiter und vergleichbare Stammarbeitnehmer nach dem neuen § 8 AÜG im Grundsatz spätestens nach neun Monaten gleich bezahlt werden. Aber auch hier: In den Bereichen, in denen tarifliche Branchenzuschläge gelten, ist die Frist von neun auf 15 Monate verlängert, wenn die Branchenzuschläge spätestens nach einer Einarbeitungszeit von sechs Wochen beginnen.

Zudem können die Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche selbst festlegen, wie hoch ein vergleichbares Entgelt ab dem 16. Monat ist. Damit soll der Aufwand für die Bestimmung des Vergleichsentgelts entfallen. Es wird auch abzuwarten bleiben, ob die Tarifvertragsparteien hier ihr Ermessen für eine geringere Festsetzung des Vergleichsentgelts nutzen werden.

Ein erneuter Blick in die Statistik der Bundesagentur für Arbeit aus Dezember 2015 zur Arbeitnehmerüberlassung zeigt auch hier die geringen praktischen Auswirkungen dieser neuen 9 bzw. 15 Monatsgrenze: 71,2% aller Leiharbeitnehmer sind nur höchstens neun Monate beschäftigt. Da zudem in aller Regel die Grenze von 15 Monaten zur Anwendung kommen wird, wird sich die Neuregelung für sogar 81,9% der Leiharbeitnehmer nicht erheblich auswirken.

3. Das Ende der Scheinwerk­verträge und der Vorrats­erlaubnis

Bisher ist es so, dass die Regeln zur Leiharbeit häufig dadurch umgangen worden sind, dass Dienstleister auf Grund eines als „Werkvertrag“ bezeichneten Vertrags im Entleihunternehmen tätig waren, aber tatsächlich wie ein Leiharbeitnehmer beschäftigt wurden. Wenn das entsendende Unternehmen dann vorsorglich eine Verleiherlaubnis (sog. Vorratserlaubnis) hatte, konnte im Streitfall, wenn der betroffene Mitarbeiter den Bestand eines Werkvertrags bestritt, kein Arbeitsverhältnis zum entsendenden Unternehmen entstehen, weil § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG dies nur in den Fällen vorsieht, in denen keine Verleiherlaubnis besteht. Daher haben die Dienstleister bislang oft eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis beantragt, um auf der sicheren Seite zu stehen. Entpuppte sich die Zusammenarbeit nämlich später als Zeitarbeit, war diese sogenannte „verdeckte Arbeitnehmerüberlassung“ dank der Erlaubnis wirksam.

Diese Vorgehensweise wird durch die neue Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG nun ausgeschlossen. Danach haben Verleiher und Entleiher die Überlassung von Leiharbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen, bevor sie den Leiharbeitnehmer überlassen oder tätig werden lassen. Diese Neuregelung wird sich tatsächlich praktisch in den Missbrauchsfällen auswirken, weil die Unternehmen nun ein erhebliches Interesse daran haben, den Missbrauch zu verhindern. Ihnen droht ansonsten, dass der eingesetzte Scheinwerkvertragsnehmer den Bestand eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher durchsetzt.

In diesem Zusammenhang kann der Leiharbeitnehmer aber diese Rechtsfolge erstmals verhindern, indem er gegenüber der Agentur für Arbeit sowie dem Ent- oder Verleiher erklärt, dass er am ursprünglichen Arbeitsvertrag (also mit dem Zeitarbeitsunternehmen) festhalten möchte.

4. Leiharbeit­nehmer und die Betriebsräte

Schwellenwerte

Künftig sind nach § 14 AÜG Zeitarbeitnehmer für die Berechnung der Schwellenwerte des BetrVG und bei der Unternehmensmitbestimmung – hier aber erst ab einer Einsatzdauer von sechs Monaten – zu berücksichtigen. Diese Änderung setzt die entsprechende neuere Rechtsprechung des BAG seit 2011 bzw. 2015 um. In der Praxis ergibt sich hieraus keine Änderung.

Neue Informationsrechte der Betriebsräte

Bislang gibt es häufig Streit zwischen den Betriebsparteien bei der Frage, in welchem Umfang der Arbeitgeber den Betriebsrat beim Einsatz von Fremdpersonal im Vorfeld zu unterrichten hat. Durch die Erweiterung in § 80 Abs. 2 BetrVG, wonach der Betriebsrat im Unternehmen bei der Beschäftigung von Fremdpersonal insbesondere zum zeitlichen Umfang des Einsatzes, zum Einsatzort und zu den Arbeitsaufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten ist, wird hier der Anspruch des Betriebsrates erstmals eindeutig geregelt.

Im Zusammenhang mit der Unterrichtung zur Personalplanung nach § 92 BetrVG wird künftig auch der Einsatz von Fremdpersonal ausdrücklich aufgenommen.

5. Leiharbeitnehmer als Streikbrecher

Nach dem neuen § 11 Abs. 5 AÜG darf ein Leiharbeiter nicht tätig werden, wenn der Entleiher „unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist“. Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Zeitarbeitnehmer keine Tätigkeit übernimmt, die bisher im Arbeitskampf befindliche Arbeitnehmer erledigt haben. Auch diese Neuerung wird sich im Streikfall für die für einen Tarifvertrag kämpfenden Belegschaften positiv auswirken, weil der Arbeitgeber nun keinen Keil mehr zwischen Stammmitarbeiter und Leiharbeitnehmer im Streikfall treiben kann.

6. Fazit

Insgesamt fällt auf, wie halbherzig der Gesetzgeber die Missstände in der Leiharbeit angegangen ist. Die Schieflage in der Leiharbeit besteht darin, dass Leiharbeitnehmer zunächst unter erheblich schlechteren Arbeitsbedingungen tätig werden müssen als die Stammmitarbeiter und hierfür zudem auch noch schlechter vergütet werden.

Diese Schieflage ließe sich jedoch beseitigen, wenn man entweder die Leiharbeit zeitlich auf den Kernbereich zurückführen würde, nämlich den Einsatz bei Auftragsspitzen, für Urlaubszeiten und bei Ausfällen auf Grund von Krankheit. Für solche Einsätze reicht aber eine Höch­st­ein­satz­dau­er von ca. sechs Monaten völlig aus. Wie die oben bereits erwähnte Statistik zeigt, sind ca. 2/3 aller Leiharbeitnehmereinsätze bereits innerhalb der ersten sechs Monate wieder beendet.

Die andere Möglichkeit zur Beseitigung der Missstände besteht darin, den Grund­satz des „equal pay“, ab­ge­se­hen von ei­ner an­ge­mes­se­nen Ein­ar­bei­tungszeit (z. B. von höchstens einem Monat), ohne Ausnahme direkt einzuführen. Dann bräuchte man auch keine Höch­st­ein­satz­dau­er mehr.

Das wäre dann ei­ne wirkliche Re­form der Ar­beit­neh­merüber­las­sung, die sich für die Mehrzahl der betroffenen Leiharbeitnehmer nachhaltig positiv auswirken würde.