Ausgebrannt und krank
„Erschießt sie nicht, lasst sie verbrennen!“
Aus: Der Soldat James Ryan
Mitbestimmung des Betriebsrates beim Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern
Zeitdruck, Mobbing, Dauerstress: Immer mehr Berufstätige in Deutschland leiden laut einer Studie unter psychischer Belastung und Burnout. Betroffene fühlen sich ausgebrannt, erschöpft und überlastet, den Unternehmen entstehen hierdurch Milliardenschäden. Eine neue Studie des Berufsverbands Deutscher Psychologen (BDP) zeigt, dass es um die psychische Gesundheit der deutschen Arbeitnehmer nicht gut bestellt ist. Für ihren Bericht haben sich die Psychologen die Arbeitswelt angesehen – und einen starken Anstieg der Ausfalltage wegen psychischer Probleme und Burnout registriert.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat die Angaben der großen gesetzlichen Krankenkassen zu Arbeitsunfähigkeit (AU), psychischen Erkrankungen und Burnout ausgewertet. Dabei zeigt sich, dass die Anzahl der Krankschreibungen aufgrund eines Burnouts seit 2004 um 700 Prozent, die Anzahl der betrieblichen Fehltage sogar um fast 1.400 Prozent gestiegen ist. Diese Zunahme fällt damit deutlich größer aus als die Zunahme von betrieblichen Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen insgesamt.
„Die Menschen fühlen sich in ihrem Leben und bei ihrer Arbeit immer häufiger überfordert“, erklärte BPtK-Präsident Rainer Richter. Zeitdruck und zu geringe Kontrolle über die Arbeitsabläufe seien Risikofaktoren für psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz. Wer sich überfordert fühle, gebe sich häufig selbst die Schuld. „Die psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft werden erheblich unterschätzt. Seelisch überlastete Personen erhalten zu spät Beratung sowie Hilfe und psychisch Kranke zu spät eine Behandlung.“
„Im Gespräch mit dem Arzt schildern viele Arbeitnehmer Erschöpfung oder Stress“, erklärt BPtK-Präsident Richter. „Solche Schilderungen von Burnout-Symptomen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden, weil dahinter meist psychische Erkrankungen stecken.“ Bei 85 Prozent der Krankschreibungen wegen Burnout diagnostizierte der Arzt zusätzlich eine psychische (z. B. Depression, Angststörung) oder körperliche Erkrankung (z. B. Rückenschmerzen). Nur 15 Prozent der Burnout-Krankschreibungen erfolgen ohne eine weitere Diagnose.
Aktuell gibt es keine allgemein gültige Definition, was unter Burnout zu verstehen ist. Häufig genannte Symptome des „Burnouts“ oder des „Ausgebranntseins“ treten auch bei einer Reihe psychischer Erkrankungen auf: u. a. Antriebsschwäche, gedrückte Stimmung, Reizbarkeit, Erschöpfung.
Burnout wird in Deutschland von Ärzten bei der Diagnose in einer Zusatzkategorie (Z73) verschlüsselt, in der Faktoren beschrieben werden, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen können, ohne eine eigenständige Erkrankung zu sein. Meist handelt es sich um Überforderungen durch berufliche und private Belastungen. „Eine solche Kategorie ist durchaus sinnvoll, weil sie dem Arzt die Verschlüsselung von psychosozialen Risikofaktoren oder auch von Gründen bzw. Anlässen für eine tatsächliche Erkrankung ermöglicht“, erläutert Richter. „Es muss dann aber auch sichergestellt sein, dass eine diagnostische Abklärung oder eine Behandlung eingeleitet wird.“
Die Ursachen für psychische Erkrankungen liegen aber auch in der Arbeitswelt. „Auch die moderne Arbeitswelt der Dienstleistungen und Konkurrenz kennt eine Art Fließbandarbeit.“, erklärt BPtK-Präsident Richter. „Krankmachend ist, wenn gefährdete oder erkrankte Arbeitnehmer keinen Weg zur Veränderung finden.“ Die Unternehmen können dazu beitragen, dass über psychische Belastungen offen gesprochen werden kann. Es darf nicht dazu kommen, dass in den Betrieben die Meinung herrscht: „Wer ein Problem hat, ist das Problem!“ Wer sich überfordert fühlt, gibt sich häufig selbst die Schuld. Die Erfolgsgeschichten der anderen scheinen dann zu belegen, dass mit der eigenen Leistungsfähigkeit etwas nicht stimmt. „In solchen Situationen reichen Angebote zum Zeit- und Stressmanagement nicht aus“, stellt der BPtK-Präsident fest.
„Nicht jedes Problem bei der Lebensbewältigung erfordert eine Behandlung. Wichtig ist jedoch eine schnelle diagnostische Abklärung, ob eine Krankheit vorliegt. Nur so kann einer Chronifizierung vorgebeugt werden.“ Aber auch dann, wenn noch keine Erkrankung vorliegt, benötigt der Gefährdete eine qualifizierte Beratung und Anleitung zur Selbsthilfe, die eine Verschlimmerung verhindert. „Die menschliche Psyche hat eine erhebliche Selbstheilungskraft.“, betont BPtK-Präsident Richter. „Die Selbsthilfepotenziale der Menschen werden bisher nicht ausreichend genutzt. Wir brauchen dringend eine Präventionsstrategie, die insbesondere den psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft gerecht wird.“
Kein Unternehmen kann sich dem Sog des Ausbrennens entziehen. Das hat viel mit den Arbeitsprozessen in deutschen Unternehmen zu tun. Seit den 90ziger Jahren haben die Unternehmen verschlankt, flexibilisiert und outgesourct. Jetzt treffen häufig volle Auftragsbücher auf ausgedünnte Belegschaften.
Zu Unrecht haben sich nach wie vor viele Unternehmen der Problematik des Burnout noch nicht ernsthaft angenommen. Dies ist umso unverständlicher, weil den Unternehmen durch krankheitsbedingte Fehltage jährlich immer wieder ein immenser Schaden entsteht. Denn psychische Erkrankungen führen laut Studie der Bundespsychotherapeutenkammer zu besonders langen Fehlzeiten von durchschnittlich 30 Tagen. Depressiv erkrankte Arbeitnehmer fehlten durchschnittlich sogar 39 Tage. Hierdurch entstehen den Unternehmen jährlich Produktions- und Arbeitsausfälle von vielen Milliarden Euro.
Als Antwort auf die gestiegenen Belastungen fordern die Psychologen gesteigerte Anstrengungen in den Unternehmen, zum Beispiel bei der Personal- und Organisationsentwicklung. Außerdem sollten belastete Arbeitnehmer Präventionsprogramme zur Stressbewältigung in Anspruch nehmen, schließlich sei es bis zu einem gewissen Grad trainierbar, widerstandsfähiger gegen äußere Belastungen und Krisensituationen zu werden.