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Ziel erfasst … oder auch nicht?Was ist mit meinem Provisions- oder Bonusanspruch, wenn mir meine Arbeitgeberin keine Ziele vorgibt oder mit mir keine solchen vereinbart?

Diese oder ähnliche Fragestellungen sind ein Dauerbrenner in allen Arbeitsverhältnissen, in denen die zu zahlende Vergütung teilweise variabel ausgestaltet ist, sie also von dem Grad des Erreichens individueller Ziele abhängt.

In den Arbeitsverträgen der betroffenen Arbeitnehmer finden sich regelmäßig Klauseln, die die Arbeitgeberinnen verpflichten, bis zu einer bestimmten Deadline bezogen auf das jeweilige Kalender- oder Fiskaljahr Ziele vorzugeben oder zu vereinbaren. Gerade in Krisenzeiten geraten derartige Pflichten der Arbeitgeberinnen gerne in Vergessenheit. Arbeitnehmer müssen sich auf Nachfrage nicht selten anhören, dass das konkrete Abstimmen derartiger Ziele „im Moment gerade unpassend“ sei oder „gerade nicht in die Unternehmenslage“ passe. Gerne werden die Arbeitnehmer darauf vertröstet, dass man sich über die Ziele „zu einem späteren Zeitpunkt“ verständigen könne. Das Signal, was dadurch gesendet wird, liegt auf der Hand: „Komm uns bloß nicht mit Zielen und variabler Vergütung, willst du deinen Job nicht riskieren!“.

Häufig ballen betroffene Arbeitnehmer dann die die Faust in der Tasche. Einerseits wollen sie ihren Job nicht auf`s Spiel setzen. Andererseits befürchten sie, dass in Ermangelung vorgegebener oder vereinbarter Ziele keine zielabhängige variable Vergütung zu erhalten. Denn arbeitgeberinnenseitige Zusagen, wie „man werde sich später schon über die Variable einigen“, erweisen sich leider Gottes häufig als bloße Lippenbekenntnisse.

Die Situation ändert sich dann, wenn es zum Äußersten kommt, nämlich die Arbeitgeberin – aus welchen Gründen auch immer – das als „Damoklesschwert“ stets im Raum hängende Risiko wahrwerden lässt und das Arbeitsverhältnis kündigt. Gleiches gilt für den Fall einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers. Mit Ausspruch einer Kündigung entlädt sich regelmäßig der aufgestaute Druck für die betroffenen Arbeitnehmer. Sie wollen dann, dass die Arbeitgeberin endlich ihrer aufgeschobenen Verpflichtung zur Zahlung der variablen Vergütung nachkommt.

Den Arbeitnehmern stellen sich dann jedoch regelmäßig eine Mehrzahl von Fragen:

  • Habe ich überhaupt (noch) Anspruch auf Zahlung einer Provision / variablen Vergütung, wenn keine Ziele vereinbart wurden?
  • War die Arbeitgeberin ohne mein Zutun verpflichtet, mir solche Ziele vorzugeben oder hätte ich bei der Arbeitgeberin nachhaken müssen?
  • Was ist, wenn tatsächlich eine Mitwirkungshandlung von mir erforderlich war und ich außer einem Nachfragen die Arbeitgeberin nicht zur Vereinbarung oder Vorgabe von Zielen (schriftlich) angemahnt habe?
  • Entfällt etwa in solchen Fällen meine Provision vollständig oder zumindest teilweise?

Diese Fragen bei streitigen Ansprüchen auf Zahlung variabler Vergütung sind bereits seit Längerem Gegenstand verschiedener Urteile der Landesarbeitsgerichte und auch des Bundesarbeitsgerichts. Letzteres hat die Rechtsprechungsgrundsätze in seinem nunmehr vollständig veröffentlichten Urteil vom 17.12.2020, Aktenzeichen 8 AZR 149/20, noch einmal sehr anschaulich wie folgt zusammengefasst:

1. Bei Zielvereinbarungen, von deren Erfüllung eine Bonuszahlung abhängt, sind die zu erreichenden Ziele von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen, wohingegen Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber im Wege der einseitigen Leistungsbestimmung iSv § 315 Abs 1 BGB getroffen werden. Ob eine Zielvereinbarung oder eine Zielvorgabe gemeint ist, ist durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarung zu ermitteln.

2. Hat der Arbeitgeber schuldhaft kein Gespräch mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung geführt, ist der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 S 2 BGB Grundlage für die Ermittlung des dem Arbeitnehmer zu ersetzenden Schadens.

3. Besondere Umstände, die die Annahme ausschließen, dass der Arbeitnehmer die vereinbarten Ziele erreicht hätte, muss der Arbeitgeber darlegen und gegebenenfalls beweisen.

4. Der Arbeitnehmer verletzt eine vertragliche Nebenpflicht und hat infolge dessen weder einen Anspruch auf einen Bonus noch auf Schadensersatz wegen entgangener Bonuszahlung, wenn allein aus seinem Verschulden eine Zielvereinbarung nicht zustande gekommen ist.

5. Ist nicht ausdrücklich vereinbart, dass der Arbeitgeber die Initiative zur Führung eines Gesprächs über eine Zielvereinbarung zu ergreifen hat und lässt sich diese Verpflichtung auch nicht durch Auslegung der Bonusregelung ermitteln, ist nicht davon auszugehen, dass der Arbeitgeber allein die Verpflichtung trägt ein solches Gespräch anzuberaumen. In diesem Falle trifft auch den Arbeitnehmer eine Pflicht solch ein Gespräch zu initiieren. Hierfür ist jedoch eine schlichte Aufforderung an den Arbeitgeber ausreichend.

6. Trifft sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ein Verschulden daran, dass eine Zielvereinbarung nicht zustande gekommen ist, ist auch das Mitverschulden des Arbeitnehmers nach § 254 BGB angemessen zu berücksichtigen.

Als Fazit ist damit festzuhalten, dass Arbeitnehmer bei unterbliebener Zielvereinbarung oder -vorgabe keinen Bonusanspruch als solchen, sondern einen Schadensersatzanspruch haben. Einer Arbeitgeberin wird es daher im Ergebnis nicht gelingen, durch bloße Nichtvorgabe oder -vereinbarung von Zielen variable Vergütungsansprüche gänzlich zu vereiteln.

Damit der jeweils betroffene Arbeitnehmer jedoch den Schadensersatzanspruch gegen seine Arbeitgeberin ungemindert durchsetzen kann, muss er jedoch auch in einem ansonsten womöglich unbelasteten Arbeitsverhältnis in den „sauren Apfel beißen“ und die Arbeitgeberin an die Vereinbarung oder Vorgabe von Zielen erinnern. Diese Erinnerung muss – um das Arbeitsklima nicht nachhaltig zu belasten – nicht ausdrücklich als „Mahnung“ tituliert oder formuliert werden. Es dürfte regelmäßig ausreichen, der Arbeitgeberin eine freundlich aber bestimmt formulierte Erinnerungs-E-Mail zu schreiben.

Was jedoch „tödlich“ für den Bonusanspruch ist: Nichtstun!