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01/2022 Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei individuellen Gehaltserhöhungen, Zielerreichungsprämien und sonstigen Bonuszahlungen einer Arbeitgeberin?

Aktuelle Rechtsprechung Betriebsräte

Hierüber hatte das Landesarbeitsgericht München in einem Beschluss vom 23.11.2021 (9 TaBV 64/21) zu entscheiden.

Der Sachverhalt:

Der Betriebsrat hat im Frühjahr 2021 im lntranet der Arbeitgeberin Mitteilungen entdeckt, dass optional im dritten Quartal 2021 über individuelle Gehaltsanpassungen gesprochen werden sollte. Hierauf forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, mit ihm über diese geplanten Maßnahmen Verhandlungen zu führen.

Der Personalleiter teilte mit, dass es für 2021 Gehaltserhöhungen gäbe, diese jedoch lediglich als individuelle Vereinbarungen zwischen der Arbeitgeberin und den Mitarbeitern zu betrachten seien und dies auch für Zielvereinbarungen und Bonuszahlungen gelte, so dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht gegeben sei.

Der Betriebsrat hat daraufhin ein Beschlussverfahren auf Errichtung einer Einigungsstelle eingeleitet. Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, die infrage stehenden Gehaltsanpassungen hätten keinen kollektiven Bezug.

Das Arbeitsgericht hat in erster Instanz den Antrag des Betriebsrates als unbegründet abgewiesen. Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts hat der Betriebsrat Beschwerde beim LAG München eingelegt und weiterhin die Errichtung der Einigungsstelle verfolgt.

Die Entscheidungsgründe:

Das LAG München hat den Antrag des Betriebsrates auf Errichtung einer Einigungsstelle für begründet gehalten.

Die Einigungsstelle sei danach einzusetzen, weil deren offensichtliche Unzuständigkeit nicht festgestellt werden könne. Es sei nicht auszuschließen, dass der örtliche Betriebsrat vorliegend ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG habe.

Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ergebe sich nicht aus einem fehlenden kollektiven Bezug der in 2021 gezahlten oder ausgelobten oder vereinbarten finanziellen Leistungen.

Die Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gebe dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Die Regelung soll ein umfassendes Mitbestimmungsrecht auf diesem Gebiet sicherstellen. Es setze nur ein, wenn es um die Festlegung allgemeiner (kollektiver, genereller) Regelungen gehe.

Die individuelle Lohngestaltung, Regelungen mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitnehmers, bei denen ein innerer Zusammenhang zu ähnlichen Regelungen für andere Arbeitnehmer nicht bestehe, unterliege also nicht dem Mitbestimmungsrecht.

Bei dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG richte sich die Abgrenzung von Einzelfallgestaltung zu kollektivem Tatbestand danach, ob es um die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht. Hierbei könne die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sein, dass ein kollektiver Tatbestand vorliege. Das sei deshalb von Bedeutung, weil es dem Zweck des Mitbestimmungsrechts widerspräche, wenn der Arbeitgeber es dadurch ausschließen könne, dass er mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils „individuelle“ Vereinbarungen über eine bestimmte Vergütung treffe und sich hierbei nicht selbst binden und keine allgemeine Regelung aufstellen wolle. Mit einer solchen Vorgabe, nur individuell entscheiden zu wollen, könne sonst jedes Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden. Bei der Änderung der Verteilungsgrundsätze für über/außertarifliche Zulagen gehe es stets um die Strukturformen des Entgelts. Deshalb liege hier stets ein kollektiver Tatbestand vor.

Daraus folge, dass es dem Mitbestimmungsrecht nicht entgegenstehe, dass der Arbeitgeber über- oder außertarifliche Entgeltbestandteile einzelvertraglich mit den Arbeitnehmern vereinbart habe oder in Zukunft mit den Arbeitnehmern vereinbaren wolle. Ein kollektiver Tatbestand fehle nur dann, wenn bei der Festlegung der Zulagenhöhe die besonderen Umstände des einzelnen Arbeitnehmers eine Rolle spielen und dabei kein innerer Zusammenhang zur Leistung anderer Arbeitnehmer bestehe. Das sei etwa dann der Fall, wenn für die Lohnbemessung der Wunsch des einzelnen Arbeitnehmers maßgebend sei, persönliche steuerliche Nachteile zu vermeiden, oder wenn z. B. bei einem einzelnen Arbeitnehmer eine Tariflohnerhöhung auf eine übertarifliche Zulage angerechnet werde, weil dieser allein aus einem ganz individuellen Grund auf einem tariflich niedriger zu bewertenden Arbeitsplatz unverändert die bisherige höhere Vergütung beziehe. Ein kollektiver Tatbestand liege dagegen vor, wenn Grund und Höhe der Zahlungen von allgemeinen Merkmalen abhängig seien, insbesondere von Leistungsmerkmalen oder Verantwortungsmerkmalen auf dem jeweiligen Arbeitsplatz.

Unstreitig habe die Arbeitgeberin in dem von Antragsteller betreuten Betrieb in 2021 in Einzelfällen Gehaltserhöhungen vorgenommen sowie die Möglichkeit von Boni und Zielvereinbarungen angekündigt. Nach den oben angeführten Grundsätzen folge allein aus dem Umstand, dass die Arbeitgeberin hierzu mit den Arbeitnehmern jeweils individuelle Vereinbarungen getroffen habe, nicht, dass den Leistungen kein kollektiver Bezug, z.B. Leistungsmerkmale, zugrunde lägen. Die Arbeitgeberin, die allein über die Motive der Leistung Auskunft geben könne, habe keinerlei Umstände vorgetragen, denen entnommen werden könne, dass bei den Zahlungen nur die persönlichen Umstände der einzelnen Arbeitnehmer eine Rolle spielten und kein innerer Zusammenhang zu einer Leistung bestehe. Ein kollektiver Bezug der in 2021 gezahlten Leistungen sei deshalb keineswegs ausgeschlossen, sondern vielmehr naheliegend, so dass mit einem fehlenden kollektiven Bezug der in 2021 gezahlten zusätzlichen Vergütungsbestandteile eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle nicht begründet werden könne.

 

Fazit SWP:

Eine Einigungsstelle ist nicht offensichtlich unzuständig, wenn ein Arbeitgeber an einzelne Arbeitnehmer Gehaltserhöhungen, Zielerreichungsprämien und Boni bezahlt.

Diese Entscheidung hat Bedeutung für die Arbeit einer Vielzahl von Betriebsräten. Denn es kommt in der betrieblichen Praxis häufig vor, dass Arbeitgeber eine Mitbestimmung von Betriebsräten bei zusätzlichen Entgelten wie Gehaltserhöhungen, Boni usw. unter Hinweis darauf verneinen, dass sie solche Leistungen nur an einzelne Arbeitnehmer zu gewähren beabsichtigen.

 

Praxistipp SWP:

Es lohnt sich, dass Betriebsräte sehr genau nachfragen und ggf. recherchieren, welche Arbeitnehmer aus welchen Gründen welche zusätzlichen Entgelte bekommen sollen oder bereits erhalten haben. Hintergrund ist auch bei dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit. Bei Auskunfts- und Informationsansprüchen des Betriebsrates kann sich dieser auf die Regelung des § 80 Absatz 2 BetrVG berufen und hierüber seinen entsprechenden Informationsbedarf begründen.

Stephen Sunderdiek

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