Aktuelle Rechtsprechung Arbeitnehmer
Kehrtwende in der Rechtsprechung des BAG: Arbeitnehmer müssen unbillige
Versetzungsanordnungen nicht mehr befolgen
Jeder kennt das in der Überschrift plakatierte und im nachfolgenden Fall dargestellte Szenario, oder befand sich sogar selbst schon einmal in einer derartigen Situation:
Ein Arbeitnehmer ist bei seiner Arbeitgeberin in Ungnade gefallen; man will ihn loswerden. Berechtigte Kündigungsgründe existieren jedoch nicht. Der Arbeitgeber möchte den Arbeitnehmer somit „freiwillig“ zur Aufgabe seines Arbeitsverhältnisses bewegen. Also überlegt sich der Arbeitgeber, diesem Arbeitnehmer das Leben so schwer wie möglich zu machen, indem er ihm im Rahmen seines so genannten Direktionsrechts eine Tätigkeit zuweist, die dieser dann nicht erbringen kann. Dadurch soll er dazu bewegt werden, selbst „das Handtuch zu werfen“.
Dieses Direktionsrecht ist in § 106 Satz 1 Gewerbeordnung geregelt. Danach ist es einem Arbeitgeber erlaubt, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung im Rahmen des Arbeitsvertrages nach billigem Ermessen zu bestimmen. Arbeitgeberseitige Weisungen müssen sich – wie soeben zitiert – im Rahmen des „billigem Ermessens“ bewegen, d.h. sie müssen insbesondere für den betroffenen Arbeitnehmer zumutbar sein. Über eine solchen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss vom 14.06.2017, Aktenzeichen 10 ARZ 330/16, zu befinden.
Kurz zusammengefasst, war Folgendes geschehen:
Der dortige Kläger war bei seiner Arbeitgeberin seit rd. 15 Jahren als Immobilienkaufmann am Standort Dortmund beschäftigt. Die Arbeitgeberin hatte versucht, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu kündigen. In dem Kündigungsschutzrechtsstreit unterlag sie jedoch, so dass das Arbeitsverhältnis fortbestand. Nachdem offenbar auch betriebsintern weitere Streitigkeiten aufgekommen waren, versetzte die Arbeitgeberin den Kläger mehr oder weniger von jetzt auf gleich von Dortmund an ihren weiteren Standort in Berlin. Da der Kläger dieser Versetzung nicht gefolgt ist, hatte die Arbeitgeberin ihn zunächst abgemahnt und sodann fristlos wegen Verweigerung der Arbeitsaufnahme gekündigt.
Gegen die Abmahnung und die Kündigung wendete sich der Kläger im Ergebnis mit Erfolg. Dies beruhte jedoch allein darauf, dass der für die Entscheidung zuständige 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts von der bisherigen Rechtsprechung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts diametral abgewichen ist.
Wie war die Rechtslage bislang?
Die bisherige Rechtslage war – leider – für Arbeitnehmer die von derartigen Arbeitsanweisungen betroffen waren, höchstgradig unbefriedigend und riskant. Galt nämlich lange Jahre der allgemeine Grundsatz, dass Arbeitnehmer arbeitgeberseitige Arbeitsanweisungen, die nicht billigem Ermessen entsprechen und daher die Grenzen des Direktionsrechts überschreiten, nicht befolgen müssen, sorgte das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil vom 22.02.2012, Aktenzeichen 5 AZR 249/11, für eine – aus Arbeitnehmersicht fatale – Umkehr dieses Grundsatzes. Denn das Bundesarbeitsgericht hatte in seinem Urteil entschieden, dass Arbeitnehmer vermeintlich unbillige Arbeitsanweisungen ihres Arbeitgebers zwar gerichtlich angreifen können, sie jedoch diesen Arbeitsanweisungen bis zum Ende des Gerichtsverfahrens zunächst einmal Folge leisten müssen.
Bezogen auf den geschilderten Fall hätte dies bedeutet, dass der betroffene Arbeitnehmer gegen die Anweisung, nunmehr nicht mehr in Dortmund, sondern in Berlin zu arbeiten sicherlich (auch) hätte klagen können; er hätte allerdings bis zum Abschluss des Klageverfahrens zunächst einmal in Berlin arbeiten müssen. Das heißt, er hätte von jetzt auf gleich seinen gesamten Lebensmittelpunkt von Dortmund in das rd. 500 km weite Berlin verlagern müssen. Für Arbeitnehmer mit Familie, deren Kinder etwa die Schule vor Ort besuchen, die womöglich auch noch pflegebedürftige Eltern oder sonstige Familienangehörige haben, führt dies zu schlichtweg nicht lösbaren Belastungen. Sie können nicht „mal eben so“ an einem weit entfernten Ort arbeiten. Dennoch sind derartige räumliche Versetzungen nicht per se unwirksam. Sie können auch von dem beschriebenen Direktionsrecht gedeckt sein. Hierüber hat dann das zuständige Arbeitsgericht zu befinden.
Nun „arbeiten“ Arbeitsgerichte im Verhältnis zur Zivilgerichtsbarkeit und auch zu sonstigen Gerichten sicherlich schnell; je nach Gerichtsbezirk kann ein Verfahren über die ersten beiden Instanzen (Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht) dennoch bis zu 1 ½ Jahre dauern. Sollte das Landesarbeitsgericht dann auch noch die Revision zum Bundesarbeitsgericht zulassen, wäre mit weiteren 6 bis 9 Monaten Verfahrensdauer zu rechnen. Nach bisheriger Rechtslage hätte unser Kläger im geschilderten Fall also zunächst einmal für 1 ½ bis mindestens 2 Jahre seine Familie mehr oder weniger verlassen und in Berlin arbeiten müssen, selbst wenn die Arbeitsanweisung im Ergebnis unbillig war!
Eine derartige Situation wurde bereits in der Vergangenheit von verschiedenen Seiten als absolut untragbar für die betroffenen Arbeitnehmer kritisiert. Denn – dies darf nicht vergessen werden – in einem Gerichtsverfahren gegen eine strittige Arbeitsanweisung ist es der Arbeitgeber, der beweisen muss, dass seine Anweisung sich im Rahmen des Direktionsrechts hält. Das prozessuale Risiko liegt also bei ihm und nicht beim Arbeitnehmer. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führte allerdings dazu, dass die psychologische Belastung und vor allen Dingen das wirtschaftliche Risiko während der Verfahrensdauer im Gegensatz zur prozessualen Belastung beim Arbeitnehmer lag.
Wie ist die Rechtslage nun?
Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die vielfach gegen die bisherige Rechtsprechung geäußerte Kritik nun aufgegriffen und der bisherigen Rechtsprechung des 5. Senats eine Absage erteilt. Ein von einer solchen oder ähnlichen Arbeitsanweisung betroffener Arbeitnehmer muss daher nach wie vor hiergegen (gerichtlich) vorgehen, er muss der Anweisung während der Dauer des schwebenden Verfahrens jedoch nicht mehr Folge zu leisten.
Damit ist im Ergebnis jedoch (noch) keine Rechtsklarheit geschaffen. Denn wenn ein Senat des Bundesarbeitsgerichts von der bisherigen Rechtsprechung eines anderen Senats abweichen möchte, muss zunächst gerichtsintern für Klarheit gesorgt werden. Hierfür wird beim Bundesarbeitsgericht ein so genannter großer Senat gebildet, der sodann eine allseits verbindliche Linie festlegt.
Dieses Verfahren befindet sich gegenwärtig in der Schwebe. Wir dürfen also mit Spannung das Ergebnis abwarten. Im Interesse aller Arbeitnehmer bleibt zu hoffen, dass sich die angestrebte neue Rechtsprechung des 10. Senats des Bundearbeitsgerichts durchsetzt.
Wie verhalte ich mich als betroffener Arbeitnehmer am besten während des bestehenden Schwebezustands, ohne eine Kündigung zu riskieren?
Sollte sich ein Arbeitnehmer in der geschilderten oder einer ähnlichen Situation befinden, raten wir zunächst dringend davon ab, voreilig zu handeln. Der betroffene Arbeitnehmer sollte sich an einen erfahrenen Rechtsanwalt wenden und die zu ergreifenden Schritte mit ihm abstimmen.
Als grobe Marschrichtung sollte der Arbeitnehmer danach entscheiden, wie belastend eine strittige Arbeitgeberanweisung für ihn ist.
Ordnet ein Arbeitgeber die Übernahme einer anderen Tätigkeit ohne einen damit verbundenen Ortwechsel an, empfiehlt es sich regelmäßig nicht, „aufs Ganze zu gehen“ und die Arbeit gänzlich abzulehnen. Hier sollte der Arbeitnehmer grundsätzlich eher so verfahren, dass er gegenüber dem Arbeitgeber erklärt, dieser Arbeitsanweisung nur unter Vorbehalt zu folgen und die Frage, ob diese Arbeitsanweisung sich im Rahmen des Direktionsrechts hält, parallel gerichtlich prüfen zu lassen. Dann muss er zwar bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens diese Arbeitsleistung erbringen, er riskiert jedoch keine Abmahnung oder Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Sollte jedoch ein ähnlicher Fall im Streit stehen und ein Arbeitnehmer durch eine derartig weit entfernte räumliche Versetzung über die Grenzen seiner Belastbarkeit hinaus unter Druck gesetzt werden, sollte er der Arbeit nicht nur lediglich fernbleiben. Er sollte dem Arbeitgeber ausdrücklich schriftlich mitteilen, dass er der Arbeitsanweisung nicht folgt, weil sie seiner Auffassung nach gegen die Grenzen von § 106 Gewerbeordnung verstößt. Er sollte zudem auch unverzüglich Klage bei dem für ihn zuständigen Arbeitsgericht einreichen, um die Unwirksamkeit der Arbeitsanweisung feststellen zu lassen.
Er wird die Klage ohnehin einreichen müssen, da der Arbeitgeber regelmäßig bei einem Fernbleiben des Arbeitnehmers von der Arbeit geneigt sein wird, kein Gehalt mehr zu zahlen. Erweist sich die strittige Arbeitsanweisung dann vor Gericht jedoch tatsächlich als unbillig oder unwirksam, muss der Arbeitgeber das gesamte Gehalt nachzahlen, auch wenn der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat. Dies folgt aus den Grundsätzen des so genannten Annahmeverzugs.
Sofern sich allerdings die vermeintlich unbillige Arbeitsanweisung nach Auffassung des Gerichts im Ergebnis als zumutbar und rechtmäßig herausstellen sollte, muss der Arbeitnehmer sie ab Rechtskraft eines Urteils befolgen. Ihm steht dann zudem für die zurückliegende Zeit, in der er der Aufforderung nicht gefolgt ist, keine Vergütung zu. Daher wiederholen wir unseren Rat, wonach sämtliche Schritte in einem solchen Fall vorab mit einem erfahrenen Anwalt abgestimmt werden sollten.
Über die weitere Entwicklung der BAG-Rechtsprechung werden wir informieren.
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